Wie wir über das Sterben denken, hängt viel von unseren Erfahrungen und Voreinstellungen ab. Dabei wird Sterben oft als die individuellste Sache der Welt betrachtet. Man hört: So will ich nicht am Leben bleiben; so will ich nicht sterben. Darin steckt fast stets ein Protest gegen eine erlebte oder erzählte Situation, in der es an Lebens-/Sterbensqualität mangelte. Nachdem in der Medizin die Selbstbestimmung zu Recht eine steile Karriere gegen die ärztliche oder pflegerische Fremdentscheidung angetreten hat, lockt man sie jetzt über dieses Ziel hinaus. So fühlt sich mancher im Handeln bei kranken und pflegebedürftigen Menschen erst dann abgesichert, wenn er nachweisen kann, dass er einer informierten Zustimmung oder Ablehnung gefolgt ist. Wo das Misstrauen wächst, wächst auch das Bedürfnis, sich dagegen zu schützen. Vorfahrt für Selbstbestimmung ist gut. Aber wie im Verkehr verlangt die Vorfahrt auch Umsicht und Rücksicht. Für sich selbst zu entscheiden, ist das eine, Regeln dafür aufzustellen, wie sich alle entscheiden können, ist das andere. Viele übersehen, dass es nicht nur um existentielle Betrachtungen geht, wenn Gesetze zur Pflegekarenz, zur Betreuung, zur Sterbebegleitung gemacht werden, sondern auch um eine gemeinsame Bürgerverantwortung. Wer Selbstbestimmung nur als ungehinderte Wahlmöglichkeit betrachtet, der alle anderen Beteiligten ihre eigene Verantwortung unterzuordnen haben, übersieht, dass eine verantwortliche Selbstbestimmung stets den anderen mit im Blick und mit im Boot haben sollte. Verantwortung enthält auch Selbstverpflichtung. Wer sieht, dass er zur Last fällt und isoliert bleibt, büßt Lebenssinn ein. Oft wird von Selbstbestimmung geredet, wenn die Mittel knapp werden und die Menschen keine Zeit mehr für die Pflegebedürftigen aufbringen. Was ihnen dann noch bleibt, wird zu Unrecht „Selbstbestimmung“ genannt. Verantwortung heißt, den Menschen, der als Einzelne nicht alles im Griff hat, in Beziehungen zu sehen. Deshalb tragen wir eine Bürgerverantwortung dafür, dass Menschen nicht allein gelassen werden, wenn ihr Leben eingeschränkt ist und dass ihnen geholfen wird, ihre Last zu tragen. Dann weisen wir ihnen ihre Selbstbestimmung nicht einfach zu, um uns Verantwortung zu ersparen, sondern wir respektieren sie.
Mieth , D. (2008) Grenzenlose Selbstbestimmung? Der Wille und die Würde Sterbender (Patmos: Düsseldorf).
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Schumpelick , V., Hrsg., (2003) Klinische Sterbehilfe und Menschenwürde: Ein deutsch-niederländischer Dialog (Herder: Freiburg i.Br.).
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