Abstract
The study mediates between two literary thematic fields: the discourse on disasters, with special attention to the comet theme, and the literature about the future or the collapse of the Austro-Hungarian Monarchy. In this context, we ask about the political issue of the comet material or motif. The topic will be explained using the works of Camille Flammarion, Vincenz Chiavacci, Karl Kraus, Hannes Stein and Maurus Jókai as examples.
Zu Zeiten globaler Bedrohungen durch Klimakatastrophe, Ressourcenschwund und Pandemie erscheint das Politische als etwas, über dessen nationalstaatliche Variante man sich in Richtung einer für den Homo Sapiens gefälligeren Lösung des Problems des totalen Untergangs zu erheben versucht. Erst recht erscheint das Politische (das Nationalpolitische) angesichts von Bedrohungen als anachronistisch, die den Menschen – ungeachtet seiner Geschichte und blind für deren Implikationen – von außerhalb, im kosmischen Maßstab treffen. Wen kümmern die Staatsinteressen, wenn das eintreffende Übel alle Menschen ohne Unterschied und Zugehörigkeit vernichtet? Dennoch trifft auch in diesem Zusammenhang zu, was Eva Horn über die paradoxe Selbstermächtigung der literarischen und filmischen Apokalypsen schreibt: „Zukunftsfiktionen machen nicht nur die Zukunft, sondern vor allem auch die Gegenwart, die Wirklichkeit, in der wir leben“.1 Der Erzähler eines Katastrophennarrativs schaut auf den Menschen von dessen Ende her zurück und bleibt durch und durch politisch. Die Fahne muss und musste in derlei Fantasien und Fiktionen selbst inmitten des Kollapses weiter geschwenkt werden. Im Folgenden soll diese Problematik thematisch und historisch eingeschränkt und – aus dem von Isaac Asimov zusammengestellten Katalog von Apokalypsen – auf die Subkategorie der „Katastrophen der dritten Art“,2 auf die Bedrohung durch die Kollision mit einem Kometen fokussiert werden. Die menschheitsgeschichtlich gleichsam vertraute, weil uralte Angst vor dem Kometen wird dabei historisch ausdifferenziert und auf Werke bezogen, in denen die Zukunft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie eine Rolle spielt.
Die Fragen, die sich nach der Verwendung des Motivs bzw. Stoffes der Kometenbegegnung stellen lassen, gehen je nachdem in verschiedene Richtungen. In philosophischer Hinsicht werden die politische Geschichte, die Menschheitsgeschichte und die Geschichte des Universums miteinander kombiniert bzw. konfrontiert. Die Zusammenführung der historischen Innen- und der kosmologischen Außenperspektive ermöglicht das Nachdenken über Fortschritt, Teleologie und (säkulare) Eschatologie, desgleichen über Zufall, Schicksal und Determinismus in der Geschichte. In politischer und historistischer Hinsicht eröffnet das Thema Möglichkeiten für alternative Weltentwürfe und die virtuelle Geschichtsschreibung. In literarischer und narrativer Hinsicht begegnet man der Kuriosität der historistischen ‚Was wäre, wenn‘-Fragestellung und des apokalyptischen „Plusquamfuturum“3 – der paradoxen Erzählung dessen, ‚was geschehen sein wird‘. All das erweist die Vernetzung der hier enger gefassten Thematik mit umgreifenden Kontexten und Diskursen, die ebenso zu ihrer Beleuchtung beitragen, wie sie dadurch selbst bereichert werden.
Kometen, Literatur und Politik
Die Literatur zum Thema der Kometen lässt sich historisch ausdifferenzieren bzw. nach mehreren Aspekten untersuchen. Im weitesten Sinne – mit der Literatur der Gegenwart im Vorfeld – brauchen das Motiv und der Stoff gar nicht erst konkret gemacht zu werden. Als Kontrastfolie reichen auch Symbole der Bedrohung oder außergewöhnliche Situationen aus.4 Im Hinblick auf das konkrete Erscheinen von Kometen – mit der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Vordergrund5 – kann wiederum zwischen populärwissenschaftlichen Werken und Belletristik unterschieden werden, wobei die Grenzen je nachdem, ob und wieviel literarischer Muster und wissenschaftlicher Erkenntnisse man sich bei Umsetzung des jeweiligen Vorhabens bedient, durchlässig sind. In der konkreten Ausgestaltung des Stoffes kommt auch dessen ‚zündender‘ Punkt, das narrative Dilemma des Davor und Danach, zum Vorschein. Hier stehen die Autoren vor einer das Gesamtkonzept bestimmenden Wahl. Verfolgt man die Geschichte bis zum Weltuntergang, so muss der Erzählerstandpunkt legitimiert werden. Das Paradoxon eines Betrachters, der die Katastrophe nicht überleben kann und die narrative Hoheit über diese hinaus trotzdem beibehält, führt in Richtung Science-Fiction und Zukunftsroman. Allerdings hat die Astronomie des 19. Jahrhunderts genug ‚beruhigende‘ Erkenntnisse über die Kometen geboten, mit der Konsequenz, dass die Gestaltung des Stoffes mehrheitlich auf die Vermeidung der Katastrophe hinauslaufen konnte. Man entschied sich meist für die Variante der ‚Rettung in letzter Minute‘ als literarisches Muster.
Als Ausnahme, zugleich Beispiel für die hier genannten Gesichtspunkte sei auf Rudolf Falbs und Charles Blunts (alias Arthur Brehmers) Roman Der Weltuntergang (1899) hingewiesen, der sich strikt entgegengesetzter Orientierungen – belletristischer und wissenschaftlicher, komischer und katastrophischer Register – bedient: Einer humoristischen Geschichte über das Liebes- und Eheleben ‚seriöser‘ Gentlemen wird eine Kometenkatastrophe implementiert, mit dem Ergebnis, dass die Hauptfigur zur Rettung des Eheglücks (und der Menschheit) eine technische Arche Noah, einen künstlichen Planeten, konstruiert. Die Autoren – der Populärwissenschaftler Rudolf Falb (1838–1903) und sein Kollege, Arthur Brehmer (1858–1923), Herausgeber der Sammlung Die Welt in hundert Jahren (1910) – lassen jedoch ihrem naturwissenschaftlichen Interesse Gerechtigkeit widerfahren: Die Erde geht tatsächlich unter und reißt Mr. Crooks künstlichen Planeten mit ins Ungewisse.6 Damit liegt ein seltener Fall eines Kometenromans mit einem offenen bis bösen Ende, gleichzeitig der paradoxe Sieg des astronomischen Wissens über menschliche Hoffnungen und die technische Zuversicht vor. Falb und Brehmer schaffen ein Werk – wohl sensationalistisch und in belletristischer Absicht – entgegen all der wissenschaftlichen Literatur, die – wie z. B. Wilhelm Bölsches Komet und Weltuntergang (1910)7 – das Gegenteil, die Unbegründetheit der Angst vor Kometen versichert.
Ob symbolisch oder konkret, belletristisch oder wissenschaftlich, mit narrativen Paradoxa oder ohne sie, eins scheint der Kometenstoff auf den ersten Blick nicht zu implizieren: die sich angesichts des galaktischen Maßstabs scheinbar erübrigende politische Dimension. „Was nützt es noch“, heißt es in Camille Flammarions Das Ende der Welt [La Fin du Monde] (1894, dt. 1896), „sich mit Alltagsangelegenheiten, mit innerer oder äußerer Politik, mit Budget- oder Reformfragen zu befassen, wenn die Welt untergehen soll? Ja, die Politik! Erinnerte man sich nur, je einmal solche gemacht zu haben?“8 Dennoch verhält es sich selbst in Flammarions Werk anders, als diese Sätze vermuten lassen. Der französische Astronom hat bereits in der Sammlung Recits de lʼinfini (1873)9 die Geschichte eines Kometen erzählt, die 1910 zum Wiedererscheinen des Kometen Halley unter dem Titel Komet und Erde. Eine astronomische Erzählung auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde und die Botschaft vermittelte, dass das Ende ganz anders vorzustellen sei als in Form der befürchteten Kollision. In Das Ende der Welt erläutert Flammarion seine diesbezüglichen Ideen in zwei ‚Durchgängen‘. Der erste Teil spielt im 25. Jahrhundert und verfolgt den Ablauf und den einigermaßen glücklichen Ausgang der Begegnung der Erde mit einem Kometen. Der zweite Teil zeigt die Zukunft und das Ende der Menschheit in zehn Millionen Jahren, nicht ohne eine spiritistische Erhebung in höhere Dimensionen. Der bereits zitierte erste Teil demonstriert nicht nur die astrophysikalischen Folgen der Annäherung zweier Himmelskörper aneinander, sondern auch deren mögliche Konsequenzen für die Gesellschaft. Die Kometenepisode ist gerade deshalb aufschlussreich, weil sie die menschlichen Werte und Institutionen im Ausnahmezustand nicht nur annulliert, sondern auch wieder in Kraft treten lässt. Flammarion geht es auch darum, die Reorganisation der Gesellschaft und damit im Zusammenhang das allzu Menschliche in den Tagen des bevorstehenden Endes aufzuzeigen, und zwar unabhängig davon, dass die Intention dahin geht, die aus der Kometenbegegnung hervorgehende Gefahr zu entkräften. Im Zeichen dieser nicht zu vernachlässigenden Absicht führt der Erzähler Bilder der „wogenden Menge“ (S. 1), „verstörte Gesichter, eingefallene, durch schlaflose Nächte entstellte Züge“ (S. 4) vor, um die Massenszenen im nächsten Zug von den Straßen in die politischen und kirchlichen Institutionen zu bringen: Auch in diesen steht die Welt auf dem Kopf, versinkt andererseits nicht ins totale Chaos. Sinnvolle, wenngleich nicht unproblematische Reaktionen – z. B. die Erhebung des Papstes zum „Göttlichen Vater“ durch das vatikanische Konzil (S. 99) – porträtieren die Gesellschaft und erweisen sie zusätzlich zur Entlarvung der ‚menschlichen Schwächen‘ als grundsätzlich aktiv und ‚politisch‘.
Was sich auf der Ebene der Handlung erweist, wiederholt sich auch auf der Ebene des Erzählers, der engagiert genug ist, in der scheinbar hoffnungslosen diegetischen Situation Kritik an der Gesellschaft zu formulieren, allen voran die Medien zu schelten, die „in der einzigen Absicht, die allgemeine Neugierde bis zum Paroxismus zu überreizen und »Nummern abzusetzen«“, „an allen Klassen Verrat“ (S. 9) ausüben. Hinzukommt Flammarions nationalpolitisches Abfärben der Geschichte, in der die „Vereinigten Staaten von Europa“ (S. 1) durchaus von Frankreich aus regiert werden, die „Akademie der Wissenschaft“ als „das Institut von Frankreich“ (S. 2) gelobt, die „Pariser Sternwarte“ (S. 12) als „Sammelpunkt theoretischer Studien“ und als „telephonisches Centralbureau für die Sternwarten“ (S. 13) der ganzen Welt attribuiert werden. Das Narrativ ist und bleibt selbst in jenen Momenten ‚politisch‘ bzw. ‚zeitkritisch‘, die eine posthumane Perspektive eröffnen (um diese im zweiten Teil von Das Ende der Welt in einer Zukunft von „zehn Millionen Jahren“ zu vollenden).
Ähnliches lässt sich auch in Vincenz Chiavaccis Der Weltuntergang. Eine Phantasie aus dem Jahre 1900 (1897)10 beobachten. Im Auftakt der Erzählung wird die zugespitzte politische Situation der Welt in der nahen Zukunft geschildert. Beschleunigte Aufrüstung und die Herausbildung innereuropäischer politischer Bündnisse drohen insgesamt mit einem politischen Kollaps. Vor diesem Weltuntergang trifft nun der Komet ein, der im Laufe der Erzählung das an Flammarion erinnernde schrittweise Ableben der Menschheit verursacht, nicht ohne ein utopisches Gegenbild zur europäischen Gesellschaft bzw. Menschheit, eine Schilderung des sozialen Lebens auf dem Mars zu ermöglichen. Die Erzählung mündet in das in der fantastischen Literatur ebenfalls geläufige Motiv des Erwachens aus dem bösen Traum. Chiavaccis lockere bzw. komisch-parodistisch veranlagte Handlungsgestaltung lässt paradoxerweise offen, ob die gesamte Geschichte – die europäische Konfliktlage miteingerechnet – geträumt wurde, oder ob die Hauptfigur in der nämlichen gespannten, explosionsnahen politischen Situation aufwacht. Das erzählerische Vorenthalten diesbezüglicher Informationen generiert jedenfalls einen metanarrativen ‚Looping‘, der den aufmerksamen Leser zum Anfang der Geschichte zurückbringt. Ausarbeitungen des Stoffes, wie bei Flammarion und Chiavacci, weisen jedenfalls darauf hin, dass der literarische Katastrophendiskurs generell und die Kometenthematik im Speziellen immer auch ein Interesse am ‚Bestehenden‘, an utopischen oder dystopischen Dimensionen der Gesellschaft bzw. der Geschichte artikulieren. Das narrative Paradoxon einer Vorstellung der Welt nach dem Menschen bleibt immer fokussiert auf das Eigene: ‚anthropisch‘ und zugleich historisch-politisch. Kometen kommen und gehen – und werden prinzipiell in den Dienst der sozialen Selbstreflexion gestellt.
Ende und Auferstehung der k.u.k. Monarchie (K. Kraus und H. Stein)
Nähert man sich mit der vorliegenden Fragestellung an die Literatur der Doppelmonarchie, so kommen mit einiger Selbstverständlichkeit Szenarios des Ersten Weltkriegs zum Vorschein, und zwar je nachdem als Verbildlichungen der politischen Katastrophe danach oder davor. Für Ersteres sei Karl Krausʼ berühmte und einprägsame Vision des Weltuntergangs in Die letzten Tage der Menschheit (1919/1922) genannt.11 Im bereits 1917 entstandenen und veröffentlichten „Epilog“ mit dem Titel „Die letzte Nacht“ mündet die Tragödie der Menschheit in eine „von einem kosmischen Punkt regiert[e]“ (VIII) Apokalypse. Zum Abschluss der 55 Szenen umfassenden, monströsen dramatischen Kriegssatire geht das Gewirr von menschlichen „Stimmen von unten“ bzw. „von oben“ – bei metanarrativer Brechung der Szene, als würde es sich um einen Film vom Jüngsten Tag handeln – in eine andere „Stimme von oben“, in die Scheltrede der Marsianer über. Diese brechen die „Beziehungen“ (S. 787) zur Erde ab, indem sie ein letztes Urteil über die Menschheit sprechen und „Gottes Ebenbild“ (S. 792) durch „Meteorregen“ (S. 790), „Flammenlohe“ und „Weltendonner“ (S. 791) ein Ende bereiten. In der Illustration der Ausgabe von 1922 erhebt dabei der Gekreuzigte die Arme ohne das Kreuz hinter sich (S. 793) in den Himmel und Gottes Stimme spricht: „Ich habe es nicht gewollt“ (S. 792) – sarkastische Abschlussgesten, die als Wille und Unwille, als kosmische Indifferenz höherer Mächte gegenüber dem verruchten Geschlecht in Jura Soyfers Der Weltuntergang von 1936 nochmal wiederkehren sollten.12
Wie Edward Timms bemerkt, ist das nicht der einzige Schluss in Krausʼ Werk. Genauso kann man die Szenen davor – „Der Nörgler am Schreibtisch“ (Fünfter Akt, 54. Szene) und „Das Liebesmahl bei einem Korpskommando“ (Fünfter Akt, 54. Szene) – als Abschlussszenen, und zwar als viel kritischere dramatische Lösungen betrachten.13 Im Gegenzug dazu ist die kosmische Katastrophe „eher traditionell“, indem dadurch „einer moralischen Ordnung im Kosmos wieder Geltung […] verschaffen“14 wird. Der Maßstabswechsel vollendet das ohnehin visionär-symbolisch erhöhte Stück und sorgt für klare Verhältnisse. Das Historische wird gewogen und in einen Rahmen gesetzt, in dem es ‚zu leicht‘ befunden und dementsprechend abgerichtet wird.
Auf diesen Maßstabswechsel greift auch Hannes Steins 2013 veröffentlichter Roman Der Komet zurück,15 wenngleich in einem anderen Genre und auch mit ganz anderen historisch-politischen bzw. fiktionalen Konsequenzen. Hier wird die politische Katastrophe davor behandelt – bis vor dem Ersten Weltkrieg bzw. dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zurückverfolgt und nach der fiktiven Korrektur realhistorischer Ereignisse zur kosmischen Bedrohung in Beziehung gesetzt. Die Handlung spielt um die Wende zum 21. Jahrhundert, in einer k.u.k. Monarchie, deren Geschichte, nachdem Erzherzog Franz Ferdinand 1914 einem Attentat in Sarajewo entgangen ist, einen ganz anderen Weg genommen hat als die realhistorische. Weltweit herrschen andere Verhältnisse, nur Österreich-Ungarn ist das Alte geblieben, ein „schlampiges Gebilde, das aus vielen Völkern zusammengestückelt war. Keine Internationale, wie die Austromarxisten sie vergeblich herbeiträumten, sondern – viel praktischer – eine Hinternationale. Reaktionär, fortschrittlich und human“ (S. 217). In dieser „Welt von Gestern“16 ist gleichwohl nicht alles dasselbe, handelt es sich doch um eine gewandelte Vergangenheit, deren Zukunft sich auch anders entwickelt hat. Die alten Einrichtungen der Doppelmonarchie kaschieren „eine eher lockere Konföderation von Kronländern unter habsburgischer Aufsicht“ (S. 164), ein „Dornröschenreich“, das „doch immer wieder zu beinahe blitzartigen Anpassungsleistungen fähig“ (S. 163) ist und aus ebendiesem Grund überdauert hat. Auf der großen Bühne der Geschichte haben andererseits kein Lenin, kein Stalin und kein Hitler eine Rolle gespielt. Der Romanschauplatz wird von viel sympathischeren – und für die alternative Geschichte repräsentativen – Gestalten belagert: von einem tollpatschigen jungen russischen Adligen, einem jüdisch-orthodoxen Astrophysiker und seiner Frau, von drei, miteinander im Caféhaus im besten Einvernehmen über die Welt diskutierenden Hofräten (einem Psychoanalytiker, einem Oberrabbiner und dem Kardinal von Wien) und nicht zuallerletzt von einem mit der Leistung seiner Vorfahren zu Recht zufriedenen Kaiser. In dieser Geschichte hat sich – die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften wie die Eroberung des Mondes miteingerechnet – eine im Prinzip ausgewogene Weltordnung etabliert: ein Konglomerat aus Monarchien und Republiken, mit den USA als einer „Schweiz von der Größe eines Kontinents“ (S. 214), einem Deutschland, in dem nicht der „faustische Mensch“, sondern „viel eher verschrobene Gestalten wie Palmström und Kunkel, die Christian Morgenstern sich ausgedacht hatte“ (S. 212), das Wort führen, und selbstverständlich mit einer Doppelmonarchie, die für einen friedlichen mitteleuropäischen Status quo gesorgt hat und hierin nach wie vor bestimmend ist.
Jene Deutung, die dem Kaiser am ehesten einleuchtete und zusagte, lautete einfach: „Austria erit in orbe ultima. Wörtlich übersetzt: Österreich wird bis zuletzt im Erdkreis sein – oder in besserem Deutsch: Österreich wird als Letztes untergehen. […] Sollte es jemals untergehen, würde das Ende der Welt anbrechen. Franz Joseph II. glaubte fest an diese Prophetie: nach uns die Apokalypse […].“ (S. 166)
Dieser ‚Auszeichnung‘ der Doppelmonarchie vor allen anderen Ländern der Welt wird nun der Roman in der Begegnung mit dem Kometen auch konkret gerecht. Die auf dem Mond gemachten Beobachtungen und Berechnungen ergeben, dass der Komet die Erde in Mitteleuropa und „wie es sich traf: ein bisschen westlich von Wien“ (S. 205) treffen würde. Zum Einschlagsort wird eine magische Baumgruppe „uralt-keltische[n]“ (S. 226) Ursprungs – der Baumkreis „Am Himmel“23 – „[n]ahe dem Gipfel des Cobenzl“ (ebd.) erklärt, welcher Ort nebenbei vom Heurigendorf Grinzing benachbart wird – Schauplätze einerseits eines umfassenden Blicks auf die Stadt und andererseits der ebenfalls umfassenden Wiener Gemütlichkeit. Hier versammeln sich zum erwarteten Zeitpunkt der Katastrophe „Wiener aller gesellschaftlichen Klassen, aller Konfessionen, aller ethnischen Zugehörigkeiten“ (S. 226), um dem Untergang auf ihre stereotype Art und Weise – „Die Lage war hoffnungslos, aber nicht ernst“ (S. 226) – die Stirn zu bieten. Der eine Teil tut es alkoholisiert (Standort Grinzing), der andere (Standort Cobenzl) erhebt sich – nachdem unerwartet auch Seine Majestät und die Hohe Familie eingetroffen sind – zu kollektivem Protest und tut es „zu jene[r] sanft-feierliche[n], zutiefst unschuldige[n] Melodie von Joseph Haydn […], die nie einem anderen Land als Österreich-Ungarn gehört hat“ (S. 227). Der Komet, der – auch schon aus physikalischen Gründen (S. 237) – in letzter Minute zerplatzt, wird symbolisch durch die „tausendkehlige Stimme“ (S. 228) von Bürgern und Bürgerinnen eines glücklichen Staates gleichsam ‚weggesungen‘. Zu diesem planetarischen Exorzismus fügt der Roman auch andere, offenbar erfolgreiche Protesthandlungen hinzu: Der Astrophysiker hat trotz Ehekrise in der Hoffnung, „dass Gott – der riboine schel oilom, der Herr der Welt – ein Einsehen haben würde“ (S. 233), in letzter Minute ein Kind gezeugt. Die drei Hofräte ignorieren das Ende der Welt jeweils auf ihre Art und Weise durch Routinehandlungen. Schließlich sind zum allgemeinen Aufbegehren auf dem Cobenzl auch Muslime gekommen, um „dem Tod geradeaus ins Auge zu blicken“ (S. 238). Ihre Verachtung des Todes erweist sich an diesem Tag, „den 23. Dschumada al-Achira des Jahres 1422“ (S. 239), andersrum: am 11. September 200124 als besonders aussagekräftig. Die Utopie ist bei aller Selbstironie25 stark und umgreifend genug, um sogar einer planetarischen Katastrophe zu entgehen.26
Die Zukunft, einmal anders (M. Jókai)
Je nachdem, in welche Zeitrichtung wir blicken, verändert sich das Bild.
Der Historiker sieht aus der jeweils gegebenen Situation zurück auf deren Vergangenheit. Diese erscheint als ein Fächer von Einbahnstraßen, die alle auf das zur Blickbasis gewählte Ereignis zulaufen. […] Der Handelnde hingegen blickt aus der Lage, in der er sich befindet, in die Zukunft. Für ihn kehrt sich der Fächer um. […] Allemal eröffnet sich ein buntes Spektrum an Hoffnungen und Befürchtungen, an […] Möglichkeiten. Sie sind nicht immer in ihrer ganzen Vielfalt erkennbar, aber stets in der Mehrzahl gegeben.34
Das spiegelbildliche Verhältnis von Vergangenheit (Schließung des Fächers) und Zukunft (Öffnung des Fächers) wird durch die kontrafaktische Geschichte und die Zukunftsgeschichte jeweils auf den Kopf gestellt, indem Erstere Denkmöglichkeiten eröffnet, Letztere wieder welche schließt und das Konzept eines bestimmten – erhofften oder befürchteten – historischen Weges entwirft.
Während Steins Der Komet mit kontrafaktischer Geschichte spielt und zur parahistorischen Romanliteratur gehört, wird Maurus Jókais Roman des künftigen Jahrhunderts (1872–1874)35 in die Zukunft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie versetzt, nicht ohne das Handlungselement der ‚Prüfung durch den Kometen‘ ungenutzt zu lassen. Es handelt sich um ein frühes Beispiel der ‚Vorkriegsliteratur‘, die gleichsam visionär in- und ausländische politische Konflikte und den Weltkrieg vorwegnimmt.36 Die Handlung beginnt 1952 und führt bis um das Jahr 2000.37 Die Doppelmonarchie hat eine Machtverlagerung nach Ungarn erlebt,38 krankt jedoch nach wie vor an ihrer eigenen Größe, vor allem an ihren althergebrachten politischen Interessenkonflikten. Der Zusammenhalt und die Handlungsfähigkeit des ebenso gewandelten wie althergebrachten Staatsgebildes werden im Laufe des Romans durch das zuerst anarchistische, später autoritär-diktatorische Russland auf die Probe gestellt. Die erste kriegerische Auseinandersetzung trifft unmittelbar die Monarchie, die zweite den aus dem Heer des ersten Krieges gegründeten „Staat »Otthon«“ (dt. III/138) im Donaudelta, dessen Prosperität den Unwillen der gesamten Welt erweckt hat. Als Science-Fiction rückt der Roman zunehmend einen talentierten Szekler in den Vordergrund, mit dessen Erfindungen und taktischen Fähigkeiten – mit der Flugmaschine und geopolitischen Entscheidungen großen Formats – die Kriege gewonnen werden. „Der ewige Kampf“ endet mit dem „ewigen Frieden“, welche Bezeichnungen zugleich als Überschriften der beiden Teile des Romans dienen. Mit dem Elan eines Jules Verne lässt Jókai dabei die wissenschaftlich-technischen Kenntnisse und Fantasien der Zeit Revue passieren, obgleich ihm genauso viel an der politisch-utopischen Analyse und Botschaft liegt.39
Diese gleichzeitig futuristische und utopistische schriftstellerische Doppelabsicht kennzeichnet auch die letzten Kapitel des Romans, in denen die nach den beiden Kriegen errungene Weltordnung „im zweiten Millennium“ (ung. II/312) ein weiteres Mal und zugleich auf höherer Ebene, nämlich durch einen Kometen, bedroht wird. Die deutsche Ausgabe des Romans, in der dieser Schluss fehlt – die Handlung endet mit dem Weltfrieden –, stellt dessen Relevanz gleichsam in Frage.40 Trotzdem gehört die scheinbar nur angehängte, in Wahrheit bewusst geplante Komet-Episode zum Romanganzen.41 Während der erste Krieg Russlands gegen die Doppelmonarchie binneneuropäisch verläuft und der zweite Krieg gegen den „Staat »Otthon«“ weltpolitische Dimensionen erhält, vermittelt die letzte Episode Kriege „zwischen Himmelskörpern“ bzw. „zwischen den irdischen Sternen“42 der Wissenschaft und der Kirche. Dass diese kosmische bzw. weltanschauliche Erhöhung des Maßstabs unter Rückgriff auf das vorangehende ‚Historische‘ erfolgt, wird bereits in den Statuten des ewigen Friedens vorweggenommen, wird doch „[a]us den sämmtlichen Geschützen der ehemaligen Militärstaaten […] eine riesige Sternwarte gegossen“ (dt. IV/193–194), die im Weiteren zur leitenden Institution des weltweiten Staatenbundes und zur Zentrale aller nationalen Sternwarten wird. Bis zum Eintreffen des Kometen hat sich die Selbstorganisation der Menschheit hinlänglich gewandelt, um sich der Herausforderung zu stellen. Bei ständiger Beobachtung und Analyse durch die Astronomen mündet der „zwischen den Himmelskörpern“ stattfindende „Kampf“ – zu dessen Beschreibung Jókai die astronomische Literatur referiert – zum Schluss in eine Rettung der Erde und eine Begegnung des Mondes mit dem Kometen, wodurch zum einen der Mond eine neue Gestalt bzw. neue Bahn erhält, zum anderen der Komet zum neuen Planeten um die Sonne wird.
Den symbolischen Sinn der parallelen Verwandlung von Mond und Komet kehrt wiederum der erwähnte „Kampf zwischen den irdischen Sternen“ hervor. Bereits im Vorwort des Romans43 lässt Jókai aus den vielen „Kämpfen“ der Menschheit die „Erkenntniß“ (vor dem „Glauben“ und der „Phantasie“, dt. I/2) als eigentlich tragende Kraft hervorgehen. In der Kometenepisode liefert er nicht nur die wissenschaftlich-fantastische Beschreibung interplanetarischer Ereignisse, er verfolgt auch den im Vorwort vorweggenommenen Kampf der „beiden Leitsterne der Menschheit“ (ung. II/341), der Wissenschaft und der Religion, um die Deutungsmacht. Dieser dritte Krieg der Menschheit, der zugleich ein Meinungskrieg ist, führt zu einem Ergebnis, das durch die Konstellation der beiden neuen Himmelskörper verdeutlicht werden sollte. Hinsichtlich des Ausgangs des Romans konstatiert Márton Szilágyi einen „optimistische[n] Ausklang“:44 „das Zustandekommen der optimalen Einrichtung der Menschheit“.45 In Bezug auf die „transzendentale Richtung“46 von Jókais Werk und der Kometenepisode stellt er fest, dass die millenaristisch-heilsgeschichtliche Vollendung des irdischen Geschehens ebendiese utopistische Intention verstärkt. Etwas anders kontextualisiert den Roman Henriett Kovács, die – untermauert durch Jókais Ansichten als Politiker47 – den agonistischen Aspekt betont.48 Demzufolge stehe Jókai „nicht auf einem absoluten evolutionären Standpunkt“, denn „die Mechanismen der Gesellschaft bleiben immer dieselben“.49 Die Konflikte erneuern sich und führen immer wieder zu Kriegen. Kovácsʼs Ansicht wird in der Kometenepisode zum einen durch das Aufkommen der genannten und recht heftigen Auseinandersetzung zwischen der Kirche und der Wissenschaft bestätigt: In der Zukunft sind weder die Religion noch der Aberglauben der Massen abgeschafft. Zum anderen werden die entstehenden neuen Himmelskörper gleichsam den beiden Diskursmächten zugeordnet. Der verwandelte Mond erweckt das Interesse der Wissenschaft, er wird zu einem Untersuchungsobjekt, an dem „die Menschheit genug Studium findet – solange ein Mensch auf der Welt lebt“ (ung. II/356). Der neue Planet belässt die Menschheit hingegen lange im Zweifel: Den Anbruch des neuen Jahrtausends erlebt man im lang anhaltenden erdumfassenden Nebel – ein erneuter Grund zu religiösen Ausschweifungen. Am schließlich freigegebenen Himmel erscheint um die Sonne „ein neuer Bruder der Erde“ (ung. II/366) und wird auf den Namen „Pax“ getauft. Durch diese Vorbereitung und die doppeldeutige Namensgebung – „Pax“ steht für den Frieden und das Christentum – wird die utopistische Botschaft religiös ‚versetzt‘ und ein Status quo erreicht, in dem die beiden Kräfte ebenso aufgehoben wie erhalten sind – beruhigend und beunruhigend zugleich. Es deutet sich jedenfalls eine Korrektur dessen an, was im Vorwort noch als totaler Sieg der Erkenntnis in Aussicht gestellt wurde.50
Wozu sind Kometen gut?
Der Komet verweist als Symbol einerseits auf die Gesetze des Universums und lässt sich in dieser Eigenschaft als Motiv und Stoff für fatalistische Ideen, zur Artikulation des vermeintlichen Determinismus der Geschichte verwenden. Er steht andererseits für das Unberechenbare, die Koinzidenz unterschiedlicher Verläufe, deren narrative Umkehrung die Rettung vor dem schicksalhaften Ende ermöglicht. Er ist in beiden Rubriken geeignet, in den Dienst apokalyptischer Vorstellungen und Narrative gestellt zu werden.51 Die literarische Verbindung der kosmischen und der menschlichen Geschichte lädt zu einer Erhebung über lokale, nationale, individuelle Interessen ein und ermöglicht den Autoren, ‚große‘ Fragen zu stellen, anthropologische und menschheitsgeschichtliche Konzepte zu entwickeln. Wie die vorgelegten Beispiele zeigen, erfolgt dies nie, ohne dass die historisch-politischen Standpunkte der Zeitgenossen verhandelt würden, mit Erkenntnisgewinn für den jeweiligen Kontext bzw. für die literarische Analyse. In Kometenromanen werden die narrative Vermittlung, die figurale Wahrnehmung und die prinzipielle Instrumentalisierung der Katastrophe zu einem konkreten und symbolischen Ende geführt – zum kardinalen Punkt einer über die Fiktion hinausreichenden Botschaft.
Die am Beispiel von Karl Kraus, Hannes Stein und Maurus Jókai geführte Ausdifferenzierung der Kometenthematik bestätigt im Hinblick auf die Geschichte der Doppelmonarchie diese Erwartungen. Kakanien ist dank Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften (1930 ff.) ohnehin ein bevorzugtes Thema der virtuellen Geschichtsschreibung, bietet doch der „Möglichkeitssinn“ einen einschlägigen Gesichtspunkt des Nachdenkens über historische Alternativen.52 Im Koordinatensystem des historisch Möglichen bewegt man sich zum einen aus der Gegenwart in die Vergangenheit und revidiert das Faktische bzw. Reale. Zum anderen ertastet man die Zukunft und sucht das Mögliche (Future History) bzw. das Fantastische (Zukunftsroman). In diesem System verfolgen Steins und Jókais Werke ihr Thema in entgegengesetzten Richtungen. Sie sind aber in der Umsetzung der historischen Korrektur, des Wunschdenkens miteinander verwandt. Während Stein auf Strategien der alternativen Geschichtsschreibung rekurriert, setzt Jókai auf die „Prävention“ – er verspricht, „dass alles ganz anders gewesen sein wird“.53 In ihren Romanen wird die stattgefundene bzw. die erwartbare Geschichte einer fiktiven Komplettsanierung unterworfen. In diesem Projekt ist der Komet zum einen Provokation, künstliche Verletzung der scheinbar unhinterfragbaren Ordnung, zum anderen Medium der narrativen bzw. historistischen Selbstreflexion. Die beiden Romane unterscheiden sich von Krausʼ Meteorregen darin, dass ihre Wunschnarrative die kosmische Probe bestehen. Im genannten Koordinatensystem bietet Krausʼ Beitrag eine Kontrastfolie für das Faktische. In seinem Fall erliegt Österreich-Ungarn seinem Schicksal, während es im Fall Hannes Steins rückwirkend, im Fall Jókais vorgreifend gerettet wird. Im Jahre 1917 (bzw. 1922) ist der Blick auf die Welt eben eine andere als 1874 und 2013. Kometen haben einen langen Weg, die Literatur reagiert auf die Geschichte (und agiert in ihr) in kürzeren Abständen. Wiederkehrende Kometen – auch ein gängiger Kometenplot54 – sehen diesen Wandlungen lässig zu. Der Geschichte und der Literatur ist es dabei aber Ernst, selbst in deren verzweigtesten55 Experimenten. Kometenromane nehmen es mit dem Determinismus auf und generieren mitten in der Katastrophe Hoffnung. Darin besteht ihr Reiz und aus ebendiesem Grund kehrt der Komet auch in der Literatur immer wieder zurück.
Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe. Frankfurt am Main: Fischer 2014, S. 24.
Asimov, Isaac: Die Apokalypsen der Menschheit. Katastrophen, die unsere Welt bedrohen. Aus dem Amerikanischen von Hermann-Michael Hahn. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1979, S. 174–181.
Demandt, Alexander: Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn…? Neuausgabe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S. 166.
Vgl. Beuse, Stefan: Kometen. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2000.
Innerhofer spricht von einem Boom apokalyptischer Visionen um 1900. Innerhofer, Roland: Deutsche Science Fiction 1870–1914. Rekonstruktion und Analyse der Anfänge einer Gattung. (= Literatur in der Geschichte – Geschichte in der Literatur 38.) Wien–Köln–Weimar: Böhlau Verlag 1996, S. 372.
Die letzten Sätze des Romans vergegenwärtigen nur noch die Katastrophe: „So reißt der feurige, gasige Ball die Trümmer zweier der Welten [die Trümmer der Erde und früherer Himmelskörper, E. H.] mit sich, und unter den Trümmern auch sie, die Elektra [den künstlichen Planeten, E. H.]! Die Welt, die des Menschen Geist titanenhaft kämpfend sich gebildet, […] fliegt nun dahin, in neuen Bahnen den Weltraum durcheilend.“ Falb, Rudolf – Blunt, Charles: Der Weltuntergang. Roman. Berlin: Hugo Steinitz Verlag [1899], S. 217.
Bölsche, Wilhelm: Komet und Weltuntergang. Jena: Eugen Diederichs 1910.
Flammarion, Camille: Das Ende der Welt. Mit Genehmigung des Verfassers ins Deutsche übertragen von Karl Wenzel. Pforzheim: Ernst Haug [1896], S. 4.
Flammarion, Camille: Recits de lʼinfini. Lumen Histoire dʼune ame. Histoire dʼune comète. La vie universelle et éternelle. Quatrième édition. Paris: Librairie Académique 1873.
Chiavacci, Vincenz: Der Weltuntergang. Eine Phantasie aus dem Jahre 1900. Stuttgart: Verlag von Adolf Bonz & Comp 1897.
Kraus, Karl: Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. Wien–Leipzig: Verlag ‚Die Fackel‘ [1922]. Timms zufolge klingt im Titel des Stückes „unüberhörbar“ Bulwer-Lyttons Die letzten Tage von Pompeji (1834) an. Timms, Edward: Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse. Aus dem Englischen von Max Looser und Michael Strand. Wien: Deuticke 1995, S. 506.
„[D]ie Erde ist krank. […] … sie hat … wie nennt man da nur … MENSCHEN hat sie!“ Soyfer, Jura: Der Weltuntergang. „Die Welt steht keinʼ Fall mehr lang…“ (Zwischen Himmel und Erde). In: Ders.: Auf uns kommtʼs an. Szenen und Stücke. (= Jura Soyfer Werkausgabe II.) Wien: Deuticke [2002], S. 57–96, hier 64. Soyfers Satire bildet gleichsam das kosmisch-katastrophische Gegenstück vor dem Zweiten Weltkrieg zu Kraus’ Nachgesang des Ersten.
Timms: Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse, S. 517.
Ebd., S. 516.
Stein, Hannes: Der Komet. Roman. Berlin: Verlag Galiani 2013.
„Stein zeichnet – oder besser gesagt: denkt – die Welt von Gestern weiter.“ Wimmer, Marta: Das Geschehene ungeschehen machen. Zu Hannes Steins Geschichtslogik am Beispiel des Romans Der Komet. In: Vahidin Preljevic – Clemens Ruthner (Hg.): The Long Shots of Sarajevo. 1914: Ereignis – Narrativ – Gedächtnis. (= Kultur – Herrschaft – Differenz 22.) Narr Francke Attempto 2016, S. 527–536, hier 530.
Spreicer, Jelena: The Utopian Potential in Hannes Stein’s Novel Der Komet (2013). Umjetnost riječi LXII (2018) 3–4, S. 361–377, hier 368.
Magris, Claudio: Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2000, S. 22.
Kriegleder, Wynfrid: Was wäre gewesen, wenn? Hannes Steins Roman Der Komet (2013) – Ein Fall alternativer Geschichte: Österreich und die Welt ohne den Ersten Weltkrieg. In: Anna Wołkowicz (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der Literatur. Zwischen Autobiographie und Geschichtsphilosophie. (= Warschauer Studien zur Kultur- und Literaturwissenschaft) Berlin u. a.: Peter Lang 2019, S. 245–258, hier 257. Vgl. Spreicer: The Utopian Potential in Hannes Stein’s Novel Der Komet (2013), S. 375.
Interview mit Hannes Stein: „Eine grundsätzliche schlampige Toleranz“. Hannes Stein über die Donaumonarchie als Vorbild, seine resolute Frau und Martha’s Vineyard. Potsdamer Neueste Nachrichten, 07. 10. 2013. https://www.pnn.de/kultur/interview-mit-hannes-stein-eine-grundsaetzliche-schlampige-toleranz/21659054.html (15. 09. 2021).
Einer der Hofräte, der Psychoanalytiker berichtet über einen Patienten, der an für die Figuren des Romans unvorstellbaren Alpträumen über Weltkriege und systematischen Völkermord leidet – just an Alpträumen aus der Realgeschichte. Desgleichen wird ein „Brief aus Grusinien“ über einen anderen Patienten vorgelegt, der sich den Horror des realgeschichtlichen Kommunismus erträumt. Diese ‚Handlungsstränge‘ konterkarieren im Roman die Utopie und dienen als Selbstreflexion der Alternativgeschichte. Vgl. Kriegleder: Was wäre gewesen, wenn? S. 255; Spreicer: The Utopian Potential in Hannes Stein’s Novel Der Komet (2013), S. 372–374.
Wimmer: Das Geschehene ungeschehen machen, S. 533.
https://www.himmel.at/lebensbaumkreis (15. 09. 2021).
Vgl. Kriegleder: Was wäre gewesen, wenn? S. 251; Spreicer: The Utopian Potential in Hannes Stein’s Novel Der Komet (2013), S. 367.
„ʼs hot gornischt passiert“ (S. 236), kommentiert ein junger Chassid beinahe enttäuscht bzw. mit Wiener Lässigkeit die Abwendung der Katastrophe auf dem Cobenzl.
Die einzige böse Figur, ein Philosoph mit düsterer Vergangenheit und Gedanken, die an die Alpträume aus der Realgeschichte anknüpfen (vgl. Anm. 21), wird als symbolisches Äquivalent und als Substitut für den Kometen von einem herunterfallenden Blumentopf erschlagen. Vgl. Stein: Der Komet, S. 218–223.
Vgl. Durst, Uwe: Drei grundlegende Verfremdungstypen der historischen Sequenz. DVjs 2/2009, S. 337–358.
Demandt, Alexander: Was wäre geschehen, wenn die Schüsse von Sarajewo am 28. Juni 1914 unterblieben wären? In: Ders.: Ungeschehene Geschichte, S. 119–121.
Ferguson, Niall: Die Europäische Union des deutschen Kaisers. Wenn England sich im August 1914 aus dem Ersten Weltkrieg herausgehalten hätte. In: Ders. (Hg.): Virtuelle Geschichte. Historische Alternativen im 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen übersetzt von Raul Niemann. Darmstadt: Primus Verlag 1999, S. 115–177.
Stone, Norman: Archduke Franz Ferdinand Survives Sarajevo. In: Roberts, Andrew (Hg.): What Might Have Been. Imaginary History from Twelve Leading Historians. London: Weidenfeld & Nicolson 2004, S. 105–118
Durst, Uwe: Zur Poetik der parahistorischen Literatur. Neohelicon XXXI (2004) 2, S. 201–220, hier 219.
„Nicht die Utopie, die Science Fiction ist es […] gewesen, die mit [d]en Naivitäten Schluss gemacht hat, indem sie zum ersten Mal sich ernsthaft die Frage stellte, warum Utopien aus dem konventionellen Konstrukt von Geschichte herausfallen und […] ob es dann wirklich so sei oder sein müsse.“ Salewski, Michael: Vorwort. In: Ders. (Hg.): Was Wäre Wenn. Alternativ- und Parallelgeschichte: Brücken zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1999, S. 7–12, hier 8.
Steinmüller, Karlheinz: Zukünfte, die nicht Geschichte wurden. Zum Gedankenexperiment in Zukunftsforschung und Geschichtswissenschaft. In: Salewski (Hg.): Was Wäre Wenn, S. 43–52, hier 47.
Demandt: Ungeschehene Geschichte, S. 25–26.
Jókai, Mór: A jövő század regénye (1872–1874). Bd. I–II. Hg. von Zsuzsa Zöldhelyi. (= Jókai Mór Összes Művei 18–19.) Budapest: Akadémiai Kiadó 1981; Jókai, Maurus: Der Roman des künftigen Jahrhunderts. In acht Büchern. Bd. I–II. Preßburg & Leipzig: Verlag von Carl Stempel 1879. Bei Hinweisen im Haupttext wird zwischen den beiden Ausgaben durch die Abkürzungen „ung.“ bzw. „dt.“ unterschieden.
Zum Thema vgl. Ritter, Hermann: Kontrafaktische Geschichte. Unterhaltung versus Erkenntnis. In: Salewski (Hg.): Was Wäre Wenn, S. 13–42, hier 17. Ein Textbeispiel für ‚Vorkriegsliteratur‘: Seestern [Ferdinand Grautoff]: 1906. Leipzig: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung [1905].
Für weitere Informationen über die Handlung vgl. Szilágyi, Márton: Habsburg-Utopie und Habsburg-Mythos am Ende des 19. Jahrhunderts. Maurus Jókais „Der Roman des künftigen Jahrhunderts“. In: Csúri, Károly – Fónagy, Zoltán – Munz, Volker (Hg.): Kulturtransfer und kulturelle Identität. Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde. (= Österreich-Studien Szeged 3.) Wien: JATEPress–Praesens 2008, S. 197–206; Kovács, Henriett: Zwei Zukunftsbilder des ewigen Friedens in Österreich-Ungarn. Bertha von Suttner und das utopische Maschinenalter – Mór Jókai und der satirische Roman des künftigen Jahrhunderts. In: Johann Georg Lughofer – Stéphane Pesnel (Hg.): Literarischer Pazifismus und pazifistische Literatur. Bertha von Suttner zum 100. Todestag. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann 2016, S. 147–162.
Hierzu sowie zu weiteren, patriotisch-nationalistisch verankerten Handlungselementen vgl. Szilágyi: Habsburg-Utopie und Habsburg-Mythos am Ende des 19. Jahrhunderts.
Zum Utopischen bzw. zu Jókais zeittypischem „nationalistischen Internationalismus“ vgl. Hites, Sándor: National internationalism in late 19th-century utopias by Mór Jókai, Edward Bellamy, and William Morris. In: World Literature Studies, 2 vol. 13 (2021), S. 69–80; DOI: https://doi.org/10.31577/WLS.2021.13.2.6 (15.09.2021).
Der Roman erschien zuerst in Fortsetzungen, auf Ungarisch im Tagesblatt A Hon (03. 11. 1872 bis 11. 02. 1874), auf Deutsch im Pester Lloyd (01. 01. 1873 bis 31. 12. 1873). Die Kometenepisode entstand erst 1874 und wurde auf Deutsch nicht mehr mitgeteilt. In dieser Form wurde die deutsche Übersetzung 1879 als Buch veröffentlicht. Ujvári, Hedvig: Kulturtransfer in Kakanien: Zur Jókai-Rezeption in der deutschsprachigen Presse Ungarns (1867–1882). Berlin: Weidler Buchverlag 2011, S. 200.
Nachweisbar zum einen in den Notizen: Jókai, Mór: Följegyzések I. (= Jókai Mór Összes Művei) Budapest: Akadémiai Kiadó 1967, S. 455. Zum anderen in Zeitungsmeldungen (vgl. A Hon, 22. 09. 1872, Beilage) bzw. im Vorwort des Romans. Für den deutschsprachigen Leser geht insoweit die Anspielung des Vorworts auf eine Korrektur der „Abneigung der Erdachse von der Erdbahn“ (dt. I/9), die der Komet übrigens auch im ungarischen Original nicht bewirkt, komplett ins Leere.
So die Kapitelüberschriften (ung. II/326, II/341). Die schrittweise Maßstabserhöhung der geschilderten Konflikte erinnert an Flammarions ,Durchgänge‘ durch die Katastrophen der Menschheit: an das Konzept der ‚Wiederholung durch Korrekturen‘. Vgl. oben.
Jókai distanziert sich hier von der Tradition utopischer Staatsromane ebenso, wie er sich zur utopischen Intention und Handlung seines Werkes bekennt. Dabei erläutert er die vielen „Kämpfe“, die die Entwicklung der Menschheit begleiten (dt. I/1–9).
Szilágyi: Habsburg-Utopie und Habsburg-Mythos am Ende des 19. Jahrhunderts, S. 206.
Ebd., S. 199. „Die mögliche Geschichte und Zukunft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie beeinflusste in diesem Sinne das Schicksal der ganzen Menschheit und bevorzugte die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung auf Erden.“ Ebd., 198.
Ebd., S. 201.
Kovács verweist unter anderem auf politische Reden und Schriften Jókais, mit Relevanz für den Problemrahmen des Romans. Kovács, Henriett: Die Friedensbewegung in Österreich-Ungarn an der Wende zum 20. Jahrhundert. (= Mitteleuropäische Studien II.) Herne: Gabriele Schäfer Verlag 2009, S. 102.
„In diesem Kampf reicht die kulturelle, moralische Überlegenheit der Monarchie zum Sieg nicht aus, es braucht zusätzlich einen Vorteil auf der wissenschaftlichen, (kriegs)technischen Ebene.“ Ebd., S. 103.
Kovács: Zwei Zukunftsbilder des ewigen Friedens in Österreich-Ungarn, S. 161.
Wie ein dem Roman verwandter Text aus dem Nachlass, die Novelle Világteremtés [Die Schöpfung der Welt] belegt, will Jókai zwischen den beiden Kräften „Wissen“ und „Glauben“ gar nicht erst entscheiden. Er plädiert vielmehr für eine durch die „Poesie“ vollbrachte Synthese. Jókai, Mór: Világteremtés. In: Ders.: Hátrahagyott művei. A Jókai Mór ötvenéves írói jubileuma alkalmából közrebocsátott nemzeti díszkiadás kiegészítő sorozata. II. kötet. Túl a láthatáron. Budapest: Révai Testvérek Irodalmi Intézet Részvénytársaság 1912, S. 194–212.
Vgl. Bähr, Andreas: Der grausame Komet. Himmelszeichen und Weltgeschehen im Dreißigjährigen Krieg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2017.
Ferguson, Niall: Virtuelle Geschichtsschreibung. Unterwegs zu einer „Chaostheorie“ der Vergangenheit. In: Ders. (Hg.): Virtuelle Geschichte, S. 9–114, hier 13.
Horn: Zukunft als Katastrophe, S. 307.
Vgl. Flammarion, Camille: Komet und Erde. Eine astronomische Erzählung. Autorisierte Übersetzung aus dem Französischen von J. Cassirer. Leipzig: Verlag von Philipp Reclam jun. [1910]; Bölsche: Komet und Weltuntergang, S. 26–38.
Vgl. Jorge Luis Borgesʼ viel zitierte Novelle Der Garten der Pfade, die sich verzweigen; Horn: Zukunft als Katastrophe, S. 305; Ferguson: Virtuelle Geschichtsschreibung, S. 88–90.