Abstract
The Hungarian research of the material of the Austrian National Library, including the Imperial Court Library, is an ongoing story about Hungary as well, however, the spectacular subjects (Bibliotheca Corvina, Johannes Sambucus, Hans Dernschwam) overshadowed the regularity. More recently, the role of Vienna as a center has even been investigated at a theoretical level.
From the perspective of the Court Library, the habits of three social groups must also be taken into account when examining the development of Hungarian or Hungarian-related book collections. (1) The Viennese printers who published the books were interested in delivering their products to the court. (2) The Hungarian patrons, either wanting to prove that the modern court spirit influenced them as well, or keeping their reputation by maintaining an institutional collection – doing this out of boast or mere politeness. (3) But the most interesting is always the author. The intellectuals like to be near power – even when it's the hated power. The author, the publisher, wants to be known and to live in the spotlight (even if they suffers from it). Since the 16th century, we can always find Hungarian intellectuals living in Vienna, who were at home in the capital of the Empire, and were not immigrants from Hungary.
The 21st century's digital ÖNB clearly shows the wealth it has in Hungarian books, and we could also say that it is one of the largest Hungarian digital libraries.
Auch wenn der Titel meiner Studie erstaunen mag, kann dieser von mehreren Aspekten aus betrachtet als naheliegend angenommen werden1 – nicht weil die Fragestellungen des 21. Jahrhunderts anders sein sollen/sollten als die des 19. Jahrhunderts. Ein Konzept, das Andrea Seidler in ihrer Studie „Wem gehört ein Autor?“2 vertritt, hätte vor hundert Jahren schwer verteidigt werden können. Auch wenn wir das Verhältnis zwischen der Österreichischen Nationalbibliothek und der schriftlichen Kultur Ungarns betrachten, lassen sich zahlreiche Phänomene feststellen, die darauf hinweisen, dass die Österreichische Nationalbibliothek großteils auch die Nationalbibliothek Ungarns ist. Ausgangspunkt hierzu bietet zum Beispiel Trianon und die Fragestellung, die wir nicht mit Gewissheit beantworten können, nämlich ob die nach dem Ersten Weltkrieg in Wien verbliebenen Ungarn als Exulanten anzusehen sind, oder ob sie einfach nur Bürger3 waren, die in der Hauptstadt geblieben sind. Eine ähnliche Frage lässt sich auch unter dem Aspekt der modernen Bibliotheksdienstleistungen unserer Zeit stellen: Ist wohl die digitale Sammlung der ÖNB nicht auch die größte elektronische Bibliothek Ungarns? Ist es richtig, dass die Nationalbibliothek jene Sammlung ist, die die meisten Dokumente bezüglich einer bestimmten Kulturgruppe aufbewahrt und zur Verfügung stellt, dann ist die ÖNB allerdings auch eine ungarische Nationalbibliothek.
Ich weiß wohl, dass sowohl die Entwicklung als auch insbesondere die Einschätzung der thematischen Zusammensetzung einer Bibliothek nicht nur durch eine bewusste Erwerbungsstrategie bestimmt wird. Besonders Kulturen, die über einen geringen Bestand schriftlichen Kulturerbes verfügen – so alle Gemeinschaften Mitteleuropas, auch die der Ungarn –, können in einigen größeren Sammlungen auftauchen, und zwar so, als ob die genannte Kulturgemeinschaft im Fokus des kulturellen Horizontes der Gestalter der betreffenden Sammlung gestanden wären. Auch wenn z. B. die Hälfte der wenigen hundert ungarischsprachigen Bücher aus dem 16. Jahrhundert in einer Bibliothek Europas aufzufinden ist, bedeutet das nicht gleich, dass dort vorsätzlich auf die Beschaffung ungarischer Bücher geachtet wurde. Die Anzahl der ungarischen Werke bzw. des aus den ungarischen Gebieten stammenden Materials sollte dementsprechend immer an der gesamten Sammlung und nicht im Verhältnis zu der Gesamtanzahl der bekannten ungarischen bzw. ungarländischen Dokumente gemessen werden.
Sollten wir aber unsere am Anfang des 21. Jahrhunderts mit einer gewissen Bitternis aufgeworfenen Fragestellungen beiseitelassen, so blicken wir doch auf jene Zeiten zurück, in denen die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches ihre Hofbibliothek in Wien errichteten. Als das österreichische Ancien Régime, das Heilige Römische Reich, zu Ende ging, gründete ein ungarischer Graf und nicht der ungarische König die Bibliothek des Königreichs Ungarn. Er selbst hat dieser den Namen Bibliotheca Regnicolaris4 gegeben. Erst im Jahr 1808, als die Landesversammlung das Gesetz über die Gründung des Ungarischen Nationalmuseums erlassen hatte (die Sammlung von Franz Széchényi wurde zur Bibliothek dieser Institution, also die Nationalbibliothek Széchényi des Ungarischen Nationalmuseums), erschien die Bezeichnung „National“ in der Benennung.
Ebenso ist die Augustissima Bibliotheca Caesarea nicht nach zeitgenössischen Maßstäben oder denen des 19. Jahrhunderts zu betrachten, als eine Sammlung, die auch einen Fundus der Kenntnisse über das Königreich Ungarn und das ungarische Volk bildete. Vielsagend ist meiner Meinung nach das Vorwort von Michael Denis – Leiter der Hofbibliothek –, das er zum Katalog der Ödenburger Bibliothek von Franz Széchényi geschrieben hat.5 Denis sah die Absichten von Széchényi klar. So weist er insbesondere darauf hin, wie er selbst aus der Zentrale des Reiches die Gestaltung einer solchen Bibliothek einschätzt, die eine umfassende Sammlung der schriftlichen Quellen in einem Königreich des Reiches (in diesem Fall des Königreichs Ungarn) anlegen will. Denis betont expressis verbis, dass Hungaria und Transylvania ein Teil von Austria seien. Denis hielt die Bibliotheca Regnicolaris Hungariae vom österreichischen Standpunkt her für wichtig (jedoch zeigte er als Literaturhistoriker – als Erforscher der historia litteraria – besonderes Interesse für die Geschichte der schriftlichen Kultur, vor allem der Literatur Ungarns). Die Sammeltätigkeit von Franz Széchényi, ähnlich den anderen Bibliotheksgründern, diente keinesfalls dem Eigeninteresse. Diese Sammelwut sollte dem Interesse der Heimat (patria) dienen. Unter Patria wird das ganze Reich mit allen seinen Bewohnern verstanden. In seinen Worten an Széchényi paraphrasiert Denis Cicero, wobei er das für Rom stehende Wort Urbs durch Patria ersetzt: „Nos in nostra Patria peregrinantes, errantesque, tamquam hospites, Tui Libri quasi domum deduxerunt.“6
Betrachten wir nun das bibliotheksgeschichtliche Ereignis selbst. Wo in den Bibliotheken des Königreichs Ungarn und Siebenbürgen die „libri Hungarici“ oder „Transylvanica“ als eine thematische Einheit gesondert auftauchten, also die Bezeichnung „hungarici“ nicht mehr lediglich die ungarischsprachigen, sondern auch die ungarnbezogenen Bücher bedeutete, führt uns die Forschung bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück.7 Die Pottendorfer Bibliothek von Franz Nádasdy, Oberster Landesrichter Ungarns, der unserer Kenntnis nach als Erster im Königreich Ungarn Interesse für die möglichen finno-ugrischen Urahnen der Ungarn zeigte, soll zuerst in Augenschein genommen werden.8 Ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts zeigen die Gelehrtenbibliotheken neben den Aristokratenbibliotheken klar, dass die Völker des Königreichs Ungarn und Siebenbürgens begannen, auf Nationalitäten bezogen zu denken.
Nach einer längeren Periode, nach dem Scheitern der Träume über eine ungarische wissenschaftliche Gesellschaft im späten 18. Jahrhundert, der Träume über eine ungarische Nationalbibliothek bzw. nach dem Scheitern mehrerer ausgearbeiteter Entwürfe sahen die ungarischen Intellektuellen der Zeit von Michael Denis das größte Hindernis des Entstehens eines solchen institutionellen Systems darin, dass die ungarische Nation selbst keinen aus einem ungarischen Geschlecht stammenden König besaß. Von den ungarischen Fachautoren wird diesbezüglich György Aranka oft zitiert: „Wie im alltäglichen Diskurs oft erwähnt: König Matthias ist tot, so sind auch unsere Hoffnungen über eine heimische oder nationale Wissenschaft vorbei. Dieser von seiner Geburt an scharfsinnige, einzigartige Herrscher fing eben an, eine königliche Bibliothek in Ungarn ins Leben zu rufen, die scheiterte jedoch und was doch übrig blieb, dafür gibt es keine nationale bzw. dieser Bezeichnung würdige Sammlung. Es wäre allerdings höchste Zeit anzufangen, die vielen mottenzerfressenen verstaubten Bände, jedes Stück wie ein vergrabener Schatz unserer Heimat, zum Nutzen dieser ans Tageslicht zu bringen, anzusammeln sowie eine allgemeine ungarische Bibliothek aufzustellen.“9 Dieses Zitat führt uns gleich zu einer bedeutenden Epoche der Geschichte der Wiener Hofbibliothek zurück. Matthias Hunyadi als ambitionierter und erfolgreicher Herrscher wünschte sich auch den Kaisertitel.10 Im Jahr 1485 eroberte er Wien, wodurch er ermutigt wurde, die Stadt als Zentrale seines Landes zu betrachten. Es sind Daten bekannt, die darauf schließen lassen, dass er gegen Ende seines Lebens als Repräsentation seiner Macht auch in Wien eine Bibliothek errichten wollte. Nach aktuellen Erkenntnissen hat Bartolomeo Fonzio aus diesem Zweck mehrere Kodizes der Manfredi-Sammlung in Faenza gekauft.11 Wir wissen aber nicht, ob er die ganze Budaer Sammlung nach Wien übersiedeln wollte. Dies spielt aber in Bezug auf das Thema dieser Studie keine wichtige Rolle.
Ich selbst erforsche die Geschichte der Bibliotheca Corvina aus lesegeschichtlichen und bildungshistorischen Aspekten. Dementsprechend vertrete ich jene Definition von Corvina, laut der wir unter Corvina jenes Buch verstehen, das nachweislich in den kulturellen und wissenschaftlichen Horizont des Hofes von König Matthias geraten war. Das umfasst die Bücher des Königs, seiner Hofbediensteten, die der Wissenschaftler und Pfarrer bei Hof im Ganzen betrachtet.12 Darüber hinaus ist jedes Buch, das je auf dem Gebiet des Königreichs Ungarn im Gebrauch war bzw. von jemandem nachweisbar besessen oder gelesen wurde, für mich ein „ungarnbezogenes Dokument“, also ein hungaricum. Sammlungen, in denen diese Bücher heute aufbewahrt werden, sind daher für mich hungarica-Sammlungen. Europa wird erst gut hundert Jahre später so aussehen, wie die Teile des Königreichs Ungarn nach der 150-jährigen Türkenherrschaft: verbraucht, mit einem umstrukturierten Institutionensystem und größtenteils auch physisch zerstört.13 So ist das schriftliche Erbe des Ungarntums vom 9. bis zum 16. Jahrhundert auch nicht auf dem Gebiet des heutigen Ungarns zu suchen. Die Kulturdenkmäler des ungarischen Mittelalters, die einzelnen Stücke der Bibliotheca Corvina oder eben die 1868 noch in Ungarn aufgefundenen Kodizes der Budaer Königskapelle blieben im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek und können heute dort erforscht werden.
Die Webseite, die das 650-jährige Jubiläumsprogramm der Österreichischen Nationalbibliothek bewirbt, erinnert auch an die zwei größten ungarnbezogenen Nachlässe des Bestandes, die für die kaiserliche Hofbibliothek gekauft wurden. Die Bibliotheken von Hans Dernschwam14 und Johannes Sambucus15 wurden von Hugo Blotius in die Hofsammlung integriert. Er hat diese angeschafft, und zwar nicht, weil er selbst ein hungaricum-Sammler gewesen wäre, viel mehr war er durch die Einzigartigkeit der griechischen und lateinischen Kodizes von Zsámboky (Sambucus) und nicht zuletzt durch die ausgezeichnete humanistische Fachbibliothek motiviert. Die reiche Sammlung des Fugger-Angestellten Hans Dernschwam hat Blotius von seiner Witwe vielleicht wegen der turcica-Bezüge erworben, da er damals bereits begonnen hatte, für den Kaiser den Katalog zur Fundierung der diplomatischen Beziehungen mit der Türkei, also das auf die Türken bezogene Material als Informationsmittel zusammenzustellen. Auch der Nachfolger von Blotius, Sebastian Tengnagel, hat verfolgt, welche größeren Nachlässe für die Sammlung erworben werden könnten, und dabei auch eine nicht geringe Zahl der Zsámboky-Bücher in seine eigene Bibliothek verlegt.16 Die größte ungarnbezogene Einheit des Bibliotheksbestandes bildete im 17. Jahrhundert ohne Zweifel der von Peter Lambeck ausgewählte Teil der Pottendorfer Bibliothek von Franz Nádasdy.17 Natürlich war er nicht nur auf der Jagd nach Hungarica, sondern suchte er eher Bücher, von denen die Wiener Bibliothek über kein Exemplar verfügte.
Die Präsenz der ungarischen Intellektuellen in Wien war konstant – und zwar nicht nur wegen der jungen Studierenden an den Hochschuleinrichtungen, sondern auch infolge der Tatsache, dass als Teil der kaiserlichen Verwaltung eine ständige ungarische Beamtengarde in der Umgebung des Hofes präsent war.18 Von besonderer Bedeutung war die Institution der Ungarischen Hofkammer. Ihre Mitarbeiter und Führungskräfte waren gleichzeitig bedeutende Persönlichkeiten der ungarischen Bildungs- und Wissenschaftsorganisation. Betrachten wir die Widmungen in den Büchern, die vom 16. bis zum 18. Jahrhundert erschienen waren, stoßen wir häufig auf ihre Namen. Sie haben entweder die Herausgabe der Bücher unmittelbar unterstützt, oder eine Vermittlerrolle zwischen dem Autor und den Mäzenen gespielt. In der Stadt befanden sich die Häuser von bedeutenden ungarischen und siebenbürgischen Aristokraten. Deren Familienmitglieder sowie die Hofbeamten erhöhten die Anzahl derjenigen, die einerseits das ungarische literarische und wissenschaftliche Leben in Wien unterstützten, andererseits diese Hofsitte in der Folge auch im Königreich Ungarn und in Siebenbürgen verbreiteten.
Unter dem Aspekt der Hofbibliothek sind also die Gebräuche sogar dreier Gesellschaftsgruppen in Betracht zu ziehen, wenn man die Bereicherung des ungarischen bzw. ungarnbezogenen Buchbestandes untersucht. Zudem lag es auch im Interesse der Wiener Buchdrucker, der Herausgeber dieser Bücher, mit den Ergebnissen ihrer Tätigkeit den Hof zu erreichen – außer wenn es gerade um eine hofkritische Ausgabe ging. Im letzten Fall gelangte aber das Werk über die Behörden an den Hof. Aus Prahlerei oder einfach als eine Höflichkeitsgeste haben die Mäzene dafür gesorgt, dass ihre Bücher in die Sammlung der Institution aufgenommen wurden. Es ging ihnen dabei um ihren guten Ruf und sie wollten auch beweisen, dass sie selbst vom modernen Zeitgeist des Hofes beeinflusst waren. Der interessanteste in diesem Kreislauf ist aber immer der Autor. Die Intelligenz hält sich gerne in der Nähe der Macht auf – eben auch der verhassten Macht. (Das führte auch zum Entstehen der Hauptstädte als Wasserköpfe Europas.) Der Katalog der ÖNB, der ihre Bücher aus dem 16. Jahrhundert auflistet, zeigt klar, dass es der Autor oder der Herausgeber für besonders wichtig hielt, dem Hof sogar aus den kleinsten Druckereien des Reiches ein Exemplar eines herausgegebenen Werkes zukommen zu lassen, selbst wenn es um ein kleines protestantisches Pamphlet oder um die Verehrung des Kaisers ging. Der Autor, der Herausgeber strebt nach Berühmtheit und nach ständigem Rampenlicht – auch wenn er wohl darunter leidet. Letztere Gedanken sind nur Vermutungen meinerseits, ein sich daran anlehnendes Forschungsprojekt als Teil der Untersuchung des ungarnbezogenen Bestandes der ÖNB ist allerdings ein Desideratum. Die Zusammenhänge gilt es noch zu erforschen.
Das 18. Jahrhundert brachte Änderungen bezüglich mehrerer Faktoren mit sich, was die Art und Weise betrifft, wie die Bücher aus dem Königreich Ungarn und Siebenbürgen in die Hofbibliothek gelangen konnten. Siebenbürgen wurde als Großherzogtum Teil des Reiches, das höfische Institutionssystem wurde ausgebaut. Nach der Vertreibung der Türken erfolgte die Einrichtung des Hofes in zwei neuen Ländern auf die Art und Weise, dass dadurch auch das dortige administrative/institutionelle System umgeformt wurde. Es zeigte sich die klare Absicht, die Bevölkerung ins Reich (Teil davon war bereits der Süden der Niederlande, also Belgien) integrieren zu wollen. Die Kenntnis der Gebiete war notwendig, wie auch die Sicherung der Macht über die in ihnen ansässigen Völker, die durch das Kennenlernen der dortigen Kulturen verstärkt werden konnte. Wollte man die Debatten der Völker untereinander besser verstehen und eine politische Intervention mit taktischem Geschick durchführen, setzte dies sogar tiefere Kenntnisse voraus. Ein Grund für die Bereicherung der Hofbibliothek durch gebietsspezifische Bücher bestand also eben darin, diese Bestrebungen des Kaisers potenziell zu unterstützen.
Das kulturelle Gepräge dieser Volksgruppen wurde aber ebenso von der Hauptstadt übernommen. Das umfasst sowohl die Mode als auch das kulturelle Institutionssystem und die Vorgehensweisen in der Verwaltung. Wien wurde tatsächlich zur Hauptstadt, nämlich zu einer Hauptstadt, in der präsent zu sein im Interesse der einzelnen Kulturgruppen und wissenschaftlichen Schulen lag. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die bedeutendsten Persönlichkeiten mit Modernisierungsabsichten im Bereich des kulturellen Lebens, des institutionellen Systems der Bildung sowie in dem des wissenschaftlichen Lebens – vor allem nach dem bekannten vitam et sanguinem – in Wien willkommen waren und dort ihren Platz gefunden haben. Diese Stadt war der Geburtsort der ungarischsprachigen Zeitschriften und von hier aus wurde das deutschsprachige literarische Leben des Königreichs Ungarn organisiert. Wir finden hier ungarische Personen, die zu dem engen Kreis der Erzieher der kaiserlichen Familie gehören konnten und somit einen bedeutenden Einfluss erwarben, was ihre wirkungsvolle ungarischsprachige literarische Tätigkeit erst ermöglichte. Ein Beispiel dafür bietet Demeter Görög.19 Diese Änderungen erweiterten auch das ungarische bzw. ungarländische oder sogar siebenbürgische Beziehungsnetzwerk der Wiener österreichischen Intellektuellen- und Adeligenkreise deutlich. Hinsichtlich der Sammlung bedeutet das auch, dass nicht nur Nachlässe in der ÖNB interessant sein können, wie zum Beispiel jener des Arztes János Wallaszkay, sondern auch in den „österreichischen“ Nachlässen durchaus ungarnbezogene Dokumente auffindbar sein könnten.
Ein eigenständiges Kapitel in der Geschichte des Bestandes der ÖNB bildet die Aufnahme der kirchlichen Sammlungen nach dem Toleranzpatent von Josef II. Es darf aber die Tatsache nicht außer Acht gelassen werden, dass nach der Vertreibung der Türken bzw. nach der Eingliederung von Siebenbürgen in das Reich die Neugestaltung der (dortigen) katholischen Kirchen ebenso von aus Wien erfolgte bzw. aus den Ordenshäusern der Erbländer. Mehrere, ins Königreich Ungarn zurücksiedelnde Orden begannen ihre Tätigkeit als Tochterkirchen. Das Beziehungsnetzwerk zwischen Wien bzw. Austria, Hungaria und Transylvania ist dichter geworden.
Die Erforschung des aus den ungarischen Gebieten stammenden Materials in der ÖNB, darunter das der Kaiserlichen Hofbibliothek, ist auch von Ungarn aus gesehen ein konstantes Bemühen. Die spektakulärsten Themen, die stets im Vordergrund stehen, haben allerdings eine systematische Bearbeitung bislang in den Hintergrund gerückt. Die Bibliotheca Corvina, Sambucus, Dernschwam oder eben János Wallaszkay sind bekannte Kapitel dieser Geschichte. In letzter Zeit erfolgte nun auch die theoretische Analyse der Rolle Wiens als Zentrum. Es gab Zeiten, in denen die ÖNB auch einen eigenen Referenten für Ungarn beschäftigte. An der Universität Wien existiert die lebendigste Forschungswerkstatt für Hungarologie und das Wiener Collegium Hungaricum wurde natürlich ebenso für die intensive Erforschung des hiesigen Materials ins Leben gerufen. Es wurde aber nie ein ungarischer Kollege nach dem Vorbild des Archiv-Delegaten entsandt oder angestellt.
Es könnte und sollte jedenfalls eine Art Grundlagenforschung betrieben werden, die einerseits die weißen Flecken auf der Karte der ungarisch-österreichischen kulturellen Beziehungen auszufüllen vermag, andererseits aber auch tatkräftig zu einer rein österreichischen Grundlagenforschung beitragen könnte, einer Forschung, die die Erschließung des Beziehungssystems des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens Österreichs mit Methoden und Mitteln des 21. Jahrhunderts in Angriff nimmt.
Danksagung
Die Forschung wurde durch das Projekt NKFIH-OTKA 132770 finanziert.
Vgl. Gyáni Gábor, Az identitás vitatott fogalma, in Identitások és médiák, szerk. Neumer Katalin (Budapest, 2015) 11–20.; Wolfgang Pollak, Mitteleuropa: Sehnsucht nach dem verlorenen und auch verlogenen Paradies – oder Ferment multikultureller Kooperation im Zeichen eines demokratisch-emanzipatorischen Engagements, in Wolfgang Pollak, Österreich und Europa: sprachkulturelle und nationale Identität (ÖGS/ISSS, Wien 1994) 33–37.
Andrea Seidler, Wem gehört der Autor? Mitteleuropäische Literatur als deutschsprachige Literatur: Das Beispiel Ungarn, in Mehrsprachigkeit und multikulturelle Literatur – Multilingualism and Multicultural Literarure, Hrsg. Wynfrid Kriegleder, Manjiri Paranjare, Franz Potocka, Andrea Seidler, Sandra Vlasta, (Wien 2014) 108–119.
Vgl. Wien, Mantel der Träume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873–1936, hg. von Dalma Török (Budapest 2011).
Vgl. Az Országos Széchényi Könyvtár és a Magyar Nemzeti Múzeum alapító okirata – Litterae fundationis Musei Nationalis Hungariae et Bibliothecae Nationalis Széchényianae, praef. Gabriella Somkuti, red. István Monok (Margaritae Bibliothecae Nationalis Hungariae, Budapest 2002); István Monok, Le projet de Ferenc Széchényi et la fondation de la Bibliothèque nationale hongroise, in Les bibliothèques centrales et la construction des identités collectives, ed. par Frédéric Barbier, István Monok (L’Europe en réseaux. Contributions à l’histoire de la culture écrite 1650–1918 – Vernetztes Europa. Beiträge zur Kulturgeschichte des Buchwesens 1650–1918, Bd. III, Leipzig 2005) 87–100.
Catalogus Bibliothecae Hungaricae Francisci Comitis Széchényi… Vol. 1, Sopronii, typ. Siessianis, 1799.
Im Kontext des Vorwortes: „Primum inde gratulabimur Hungariae de Cive tam illustribus argumentis suum in eam amorem comprobante; dein Ipsi de egregiis in Patriam meritis; tum vota faciemus ut quae felicibus adeo coepit auspiciis, in commune Literatorum bonum ad apicem perfectionis educat. Ii vero Popularium suorum, quibus aut mens, aut opportunitatis rerum domesticarum penitius cognoscendarum hactenus defuit, ad Excellentissimum Széchényium grato animi sensu illis Tulli ad Varronem verbis uti poterunt: Nos in nostra Patria peregrinantes, errantesque, tamquam hospites, Tui Libri quasi domum deduxerunt.“ Cicero, Academica posteriora I. 9.; vgl. Augustinus, De Civitate Dei, 6, Caput II.
István Monok, Transformations linguistiques et thématiques dans les bibliothèques aristocratiques de la Hongrie du 18e siècle, in Actes du symposium international Le livre, La Roumanie, L’Europe. 4ème édition. 20 à 23 Septembre 2011, Sinaia (org.: Biblioteca Metropolitană Bucureşti), Tome I, Histoire et civilisation du livre, textes réunis par Frédéric Barbier (Bucureşti 2012) 108–121.; István Monok, Transformations de l’ordre des bibliothèques aristocratiques dans la Hongrie des 17e–18e siècles. Hungarian Studies 26 (2012) 2, 241–250.
Noémi Viskolcz, A mecenatúra színterei a főúri udvarban. Nádasdy Ferenc könyvtára (A Kárpát-medence kora újkori könyvtárai – Bibliotheken im Karpatenbecken der Frühen Neuzeit Bd. VIII, Szeged–Budapest 2013), 237–239.
Aranka György, Egy magyar Nyelvmívelő Társaságnak szükségessége, in Kókay György, Könyv, sajtó és irodalom a felvilágosodás korában (Budapest 1983) 191.: „Azt szokták köz példa beszédben mondani: Meghólt Mátyás király, és elmúlt az hazai vagy nemzeti tudományról való reménységünk. Az a születése felett fennjáró elméjű ritka fejedelem kezdett volt egy királyi bibliotékát állítani fel Nagy Magyarországon, a’ prédává lett; ami megmaradt is nintsen egy nemzeti ezt a nevet érdemlő gyűjtemény. Ideje volna már egyszer hozzá kezdeni, és a sok drága mojjal és porral imitt amott küszködő darabokat, melyek hazánknak mintegy megannyi elásott kincsei, az haza hasznára napfényre hozni, s egybe gyűjteni, magyar és más közönséges bibliotékát állítani.“ [Eigene Übersetzung.]
Vgl. Karl Nehring, Matthias Corvinus, Kaiser Friedrich III. und das Reich. Zum hunyadisch-habsburgischen Gegensatz im Donauraum (Südosteuropäische Arbeiten Bd. 72, München 19892).
Anna Rosa Gentilini, Lacerti Manfrediani nella biblioteca di Mattia Corvino, in Nel segno del corvo. Libri e miniature della biblioteca di Matia Corvino re d’Ungheria (1443–1490), a cura di Ernesto Milano (Il giardino delle Esperidi, vol. 16, Modena 2002) 95–103.
István Monok, Questioni aperte nella storia della Bibliotheca Corviniana agli albori dell’eta moderna, in: Nel segno del Corvo (wie Anm. 11) 33–41.
Tibor Klaniczay, Die soziale und institutionelle Infrastruktur der ungarischen Renaissance, in: Die Renaissance im Blick der Nationen Europas, hg. von Georg Kaufmann (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung Bd. 9, Wiesbaden 1991) 319–338.
Die Bibliothek Dernschwam. Bücherverzeichnis eines Fugger-Agenten in Ungarn, hg. von Jenő Berlász, Katalin Keveházi, István Monok (Szeged 1984).
Gulyás Pál, Sámboky János könyvtára – Bibliotheca Johannis Sambuci (Budapest 1941); Die Bibliothek Sambucus, Katalog, Nach der Abschrift von Pál Gulyás (1941), hg. von István Monok, Péter Ötvös, András Varga (Szeged 1992).
Das Verzeichnis der von ihm ausgewählten Bücher: Magyarországi magánkönyvtárak IV, 1552–1740, sajtó alá rend. Bajáki Rita, Bujdosó Hajnalka, Monok István, Viskolcz Noémi, a mutatót összeáll. Zvara Edina (Adattár XVI–XVIII. századi szellemi mozgalmaink történetéhez 13/4, Budapest 2009), 11–18.
Viskolcz, A mecenatúra (wie Anm. 8) 444–542.
Vgl. Die weltliche und kirchliche Elite aus dem Königreich Böhmen und Königreich Ungarn am Wiener Kaiserhof im 16.–17. Jahrhundert, hg. von Anna Fundárková, István Fazekas (Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien, Bd. VIII, Wien 2013).
Zvara Edina, Egy tudós hazafi Bécsben: Görög Demeter és könyvtára (Budapest 2016).