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Attila Simon Eötvös Loránd University, Budapest, Hungary

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https://orcid.org/0000-0001-6763-8891
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Abstract

The paper aims to clarify connections among the terms designated in the title on the basis of a well-known passage of the Aristotelian corpus (Politics I 2. 1253a7–18). The first part of the argumentation unfolds mainly through conceptual explanations and conceptual distinctions, during which some relevant claims of Aristotleʼs other works (primarily the biological and logical writings) are also taken into consideration. The main question of this part is directed to the difference between man and other living beings. The difference, as it will appear, lies in the specific performance of human speech (logos), contrasted with the performance of the animal voice (phōnē). In the second part, the reconstruction of Aristotelian theory based on close textual reading is complemented by references to some later but theoretically insightful contexts, especially with regard to the field of politics in the narrower sense. Conceptions of social constructivism (Berger and Luckmann), philosophical anthropology (Gehlen), political philosophy (Arendt), and philosophical hermeneutics (Heidegger and Gadamer) will primarily come into play.

Abstract

The paper aims to clarify connections among the terms designated in the title on the basis of a well-known passage of the Aristotelian corpus (Politics I 2. 1253a7–18). The first part of the argumentation unfolds mainly through conceptual explanations and conceptual distinctions, during which some relevant claims of Aristotleʼs other works (primarily the biological and logical writings) are also taken into consideration. The main question of this part is directed to the difference between man and other living beings. The difference, as it will appear, lies in the specific performance of human speech (logos), contrasted with the performance of the animal voice (phōnē). In the second part, the reconstruction of Aristotelian theory based on close textual reading is complemented by references to some later but theoretically insightful contexts, especially with regard to the field of politics in the narrower sense. Conceptions of social constructivism (Berger and Luckmann), philosophical anthropology (Gehlen), political philosophy (Arendt), and philosophical hermeneutics (Heidegger and Gadamer) will primarily come into play.

Im vorliegenden Beitrag werden Zusammenhänge unter den im Titel bezeichneten Begriffen aufgrund von einer klassischen Stelle (Politik I 2 1253a7–18) des aristotelischen corpus aufgezeigt. Der erste Teil der Ausführung entfaltet sich hauptsächlich anhand Begriffserklärungen und begrifflicher Unterscheidungen, bei deren Vollzug einige relevante Behauptungen anderer Werke (in erster Linie der biologischen und logischen Schriften) von Aristoteles in die Betrachtung einbezogen werden. Die Hauptfrage dieses Teils richtet sich auf die Differenz zwischen Mensch und anderen Lebewesen. Die Differenz, wie das erscheinen wird, liegt in der spezifischen Leistung der menschlichen Sprache (logos), gegenübergestellt der Leistung der animalischen Stimme (phōnē). Im zweiten Teil wird die auf enger Textlektüre beruhende Rekonstruktion der aristotelischen Theorie ‒ vor allem im Hinblick auf das Feld der Politik in engerem Sinne ‒ durch Hinweise auf einige spätere, aber theoretisch einleuchtende potenzielle Kontexte der aristotelischen Konzeption ergänzt. Dabei sollen in erster Linie die Beiträge des gesellschaftlichen Konstruktivismus (Berger und Luckmann), der philosophischen Anthropologie (Gehlen), der politischen Philosophie (Arendt) und der philosophischen Hermeneutik (Heidegger und Gadamer) ins Spiel kommen.

I.

In Politik I 2 behauptet Aristoteles, dass der Mensch als ein politisches Lebewesen eher politisch ist (πολιτικὸν ὁ ἄνθρωπος ζῷον… μᾶλλον), als „jede Biene und jedes Herdentier“. Danach erläutert er diese Behauptung wie folgt:

(1) οὐθὲν γάρ, ὡς φαμέν, μάτην ἡ φύσις ποιεῖ· λόγον δὲ μόνον ἄνθρωπος ἔχει τῶν ζῴων·

(2a) ἡ μὲν οὖν φωνὴ τοῦ λυπηροῦ καὶ ἡδέος ἐστὶ σημεῖον, διὸ καὶ τοῖς ἄλλοις ὑπάρχει ζῴοις (μέχρι γὰρ τούτου ἡ φύσις αὐτῶν ἐλήλυθε, τοῦ ἔχειν αἴσθησιν λυπηροῦ καὶ ἡδέος καὶ ταῦτα σημαίνειν ἀλλήλοις),

(2b) ὁ δὲ λόγος ἐπὶ τῷ δηλοῦν ἐστι τὸ συμφέρον καὶ τὸ βλαβερόν, ὥστε καὶ τὸ δίκαιον καὶ τὸ ἄδικον·

(2c) τοῦτο γὰρ πρὸς τὰ ἄλλα ζῷα τοῖς ἀνθρώποις ἴδιον, τὸ μόνον ἀγαθοῦ καὶ κακοῦ καὶ δικαίου καὶ ἀδίκου καὶ τῶν ἄλλων αἴσθησιν ἔχειν· ἡ δὲ τούτων κοινωνία ποιεῖ οἰκίαν καὶ πόλιν.

(1) Denn die Natur schafft, wie wir sagen, nichts ohne Zweck. Nun hat der Mensch als einziges Lebewesen Sprache.

(2a) Die Stimme gibt zwar ein Zeichen von Schmerz und Freude, deswegen ist sie auch den übrigen Lebewesen verliehen, denn ihre Natur gelangte bis zu der Stufe, daß sie Empfindung von Schmerz und Lust haben und sich diese untereinander anzeigen.

(2b) Die Sprache dient aber dazu, das Nützliche und Schädliche, und daher auch das Gerechte und Ungerechte, darzulegen.

(2c) Denn dies ist den Menschen gegenüber den anderen Lebewesen eigentümlich, allein ein Empfinden für Gut und Schlecht, Gerecht und Ungerecht und anderes zu haben. Die Gemeinschaft in diesen Dingen begründet aber Haushalt und Polis.1 (Politik I 2 1253a7–18; die Übersetzung von Schütrumpf modifiziert und aufgeteilt von mir – A. S.)

Untersuchen wir diese Begründung näher, indem zuerst auf den begrifflichen Inhalt des „Menschen als eher politikon zōon“ (1) und den Zusammenhang dieser Formulierung mit dem logos (2) fokussiert wird.

I.1.

Nach der These von Aristoteles gibt es also hinsichtlich des politischen Charakters einen Unterschied zwischen den Lebewesen, die zusammenzuleben vermögen und dem Menschen als politisches Lebewesen: Der Mensch hat „eher“ (μᾶλλον) politischen Charakter als die Bienen oder die Herdentiere. Zum Verständnis dieses Unterschiedes lohnt es sich eine Stelle der Historia Animalium zu zitieren.

Πολιτικὰ δ' ἐστὶν ὧν ἕν τι καὶ κοινὸν γίνεται πάντων τὸ ἔργον· ὅπερ οὐ πάντα ποιεῖ τὰ ἀγελαῖα. Ἔστι δὲ τοιοῦτον ἄνθρωπος, μέλιττα, σφήξ, μύρμηξ, γέρανος.

Politisch sind jene [Lebewesen], die irgendeine für alle gemeinsame Tätigkeit haben. (Solch eine gemeinsame Tätigkeit führen nicht alle Herdentiere aus.) Derartig sind Mensch, Biene, Wespe, Ameise und Kranich. (488a7–10)

Aristoteles unterscheidet innerhalb der Gruppe von Herdentieren die Gruppe von politischen Lebewesen wie Biene, Wespe, Ameise oder Kranich. Letztere unterscheiden sich von den Lebewesen, die bloß auf demselben Gebiet zusammenleben, durch ihre gemeinsame Tätigkeit oder ihr gemeinsam zu schaffendes Werk (ergon). Aristoteles konnte hier z. B. an Bienenstock, Wespennest, Ameisenhäufen denken oder an das Sozialverhalten der Kraniche, wenn diese organisiert und einander helfend nach Süden und Norden ziehen.2 Diese Lebewesen sind also in einem qualifizierten Sinne „gemeinsam“ tätig: Im Kreis der politischen Lebewesen teilen sich bei der gemeinsamen Tätigkeit die Rollen, d. h. diese Lebewesen tragen zu der Erfüllung der spezifischen Funktion ihrer Gruppe in der Weise bei, dass sie einzeln verschiedene Tätigkeiten ausführen.3 In diesem Sinne sind die Mitglieder einer Schafherde nicht „politisch“, weil sie, obwohl sie nebeneinander weiden, d. h. sie als Mitglieder einer Gruppe ein und dasselbe machen, doch machen sie das nicht gemeinsam im qualifizierten Sinne, weil sie beim Weiden nebeneinander keine Arbeitsteilung und Zusammenarbeit untereinander vollziehen.

Demgemäß übertrifft der Mensch die nicht politischen, aber in einer Herde lebenden Lebewesen durch seinen politischen Charakter, d. h. die Komplexität seines gemeinschaftlichen Lebens (Arbeitsteilung, Zusammenwirkung), und ebenso auch die politischen Lebewesen durch seinen „eher“ politischen Charakter.

Das letztere Verhältnis ruft von den zwei möglichen Bedeutungen des μᾶλλον (eher vs. in größerem Maße) zunächst die Bedeutung des Gradunterschiedes hervor.4 Man kann aber schon bei der Differenzierung zwischen den „in einer Herde lebenden“ und den „politischen“ Lebewesen daran denken, dass der begriffliche Inhalt des Termins „politisch“ nicht in der Weise konstruiert ist, dass er ein neues, spezifisches Merkmal dem eindeutig bestimmten und als homogen beschriebenen Herdenverhalten hinzufügt, sondern in der Weise, dass politisch zu sein eine komplexe Entwicklung (die in Richtung der oben beschriebenen, in einem spezifischen Sinne „gemeinsamen“ Arbeit geht) und gleichzeitig Veränderung des Herdenverhaltens bedeutet. Das ist die politische Lebensweise bestimmter Lebewesen. Worin übertrifft aber die eigenartig („eher“) politische Natur des Menschen die politische Natur der anderen politischen Lebewesen? Was macht die Eigenartigkeit der politischen Natur des Menschen aus?

I.2.

Der Satz (1) und die darauffolgenden verbinden diese qualitative Differenz mit einer Eigenschaft, die dem Menschen eine Sonderstellung gewährleistet: Die Eigenschaft, dass allein (μόνον) er logos hat. Demgemäß gibt es zwischen dem Menschen und den anderen politischen Lebewesen auf der einen Seite einen Gradunterschied (wenn wir uns die zoologische Grundbedeutung des Wortes „politisch“ vor Auge halten),5 auf der anderen Seite eine qualitative Differenz (im vollen, hier relevanten ethisch-politischen Sinne des „Politischen“),6 und Letztere verbindet sich mit einem weiteren charakteristischen Unterschied, der den Menschen von allen anderen Lebewesen absondert. Während der politische Charakter nicht als ein spezifisches Eigentum des Menschen erscheint, ist die Komplexität dieses Charakters bereits ein solches, und diese Komplexität kann auf den logos als Spezifikum des Menschen zurückgeführt werden. In diesem Sinne ist der logos ein Teil des telos des Menschen (telos auch im politischen Sinne), d. h. ein Teil des Sachverhalts, dass der Mensch die Glücklichkeit, eudaimonia, in Polis erreicht.7 Auf der einen Seite bildet der logos keine Voraussetzung zum politischen Charakter des Menschen8 – wie es in dem vorigen Unterteil aufgrund der Zeugnisse der biologischen Schriften gezeigt wurde –, da Aristoteles den Menschen von seiner biologischen Konstitution her, also von Natur aus als Politischen charakterisiert. Auf der anderen Seite ist der Mensch – dem Prinzip „die Natur macht nichts vergeblich“ gemäß9 – dank der psychosomatischen Gegebenheit des logos (genauer gesagt der Fähigkeit zum logos) für die eigenartigen Funktionen und Leistungen geeignet, die er im Rahmen des gemeinschaftlichen Lebens erfüllt und vollzieht.10

Zusammenfassend kann man sagen, dass nach Aristoteles’ These der logos selbst das ist, was dem Zusammenleben der Menschen eine spezifische Form gibt und die menschliche Gemeinschaft von anderen (politischen oder nicht politischen) Gemeinschaften der Lebewesen qualitativ unterscheidet.11 Aristoteles fundiert diese Differenz bei näherer Betrachtung durch Entfaltung einer weiteren Differenz, die als eine Eigenschaft des logos begriffen werden kann.

I.3.

Der Unterschied zwischen den Formen des Zusammenlebens verbindet sich also mit dem logos. Nach den Abschnitten (2a) und (2b) der zitierten Politik-Stelle beruht diese Differenz auf dem Unterschied zwischen Stimme und Sprache oder Rede, phōnē und logos, noch genauer aber auf dem Unterschied zwischen den kommunikativen Funktionen von diesen beiden. Worin besteht diese letztere Differenz bei Aristoteles? In diesem Teil versuche ich diese Frage zu beantworten. Erstens wird im Grundriss die Differenz zwischen phōnē (als sēmeion) und logos (als menschliche Sprache) geklärt (I.3.1.), dann deren für das spezifisch menschliche Zusammenleben entscheidendes Moment begriffen, und zwar aufgrund Erklärung der Konventionalität des symbolon (I.3.2.).

I.3.1

Aristoteles gibt auch den anatomischen und physiologischen Grund der Differenz zwischen phōnē und logos (bzw. dialektos) an: Die Sprache (oder „artikulierte Sprache“, dialektos) ist die Gliederung der Stimme (phōnē) mit Hilfe der Zunge (glōssa als Organ) (HA 535b30–31). Er betont hier im physiologischen Kontext bezüglich des Ausdrucks dialektos die Artikulation, die Artikuliertheit, das Wort selbst (dialegesthai: sich unterhalten, etwas besprechen), stellt aber eigentlich den kommunikativen Aspekt in den Vordergrund.12 Eben auf diesen kommunikativen Aspekt der Sprache gründet sich die weitere Differenz, die im Kontext der Politik bedeutend wird. Nach dem (2a) erschöpft sich die kommunikative Fähigkeit der anderen Lebewesen darin, dass sie eine Stimme (phōnē) ausgeben,13 die etwa ein unmittelbares Zeichen (σημεῖον), eine Art physiologischer Index der Empfindung von Schmerz und Lust ist, wodurch die Lebewesen die schmerzhafte und die angenehme Empfindung einander bezeichnen (σημαίνειν ἀλλήλοις) und auf diese Weise, könnte man hinzufügen, aneinander zu anschließen und sich zu begatten rufen (HA 536a14‒15) oder einander auf die Gefahr oder die Beute aufmerksam machen können.14 Die Signale der Lebewesen können bloß augenblickliche und eigene Empfindungen bezeichnen, obwohl ihre Lautgebung ein (in breiterem Sinne) semantisches Moment hat, und sie können dadurch eine Art Gemeinschaft bilden, sogar voneinander lernen (HA 536a13–15, 608a17‒21; PA 660a35–b1). Wenn man ausschließlich die Semantizität und den physiologischen Aspekt vor Augen hält, dann gibt es bei Aristoteles zwischen der menschlichen und der tierischen Sprache keinen fundamentalen, sondern nur einen (nicht überall offenbaren) Gradunterschied: Aus diesem Gesichtspunkt der Sprachfähigkeit sind die Grenzen zwischen Tier und Mensch unscharf.15 Die Vermittlung der Schmerz- und Lustempfindungen unter Tieren stellt aber keine solche Gemeinschaft her, die zu schaffen die Menschen imstande sind. Der Grund dafür liegt in der höheren Komplexität der menschlichen Sprache oder ‒ wie R. Zirin genau formuliert ‒ „human language fits into a kind of continuum among biological communication systems in which it shares many features with other systems, though it is unique in its combination and elaboration of these features“.16

Während es also aufgrund von Semantizität und physiologischen Gegebenheiten nur einen Gradunterschied zwischen der menschlichen und tierischen Sprache gibt, bindet Aristoteles den logos zugleich auf mehreren Schichten an die spezifisch menschliche Sprachfähigkeit.17 Nach der Formulierung der HA ist ein idion18 des Menschen, dass er dialektos hat (536b2). Obwohl auch bestimmte Sinnvögel artikulierte Phoneme (grammata) ausdrücken können (HA 504a35‒b3), sie verfügen also nicht nur über die physiologischen Vorbedingungen für dialektos (HA 535a27‒b3), sondern sie haben ihn (HA 536a20‒22), ist an der Fähigkeit des artikulierten Sprechens nach Aristoteles allein der Mensch beteiligt. Die anatomischen und physiologischen Eigenschaften der menschlichen Sprachorgane stehen, über ihre bloß physiologischen Funktionen hinaus, im Dienste des logos (PA 659b27–660a13, 22–23). An einer Stelle der Abhandlung Über die Entstehung der Lebewesen ist phōnē als Materie (hylē) des logos bezeichnet, den „unter den Lebewesen allein die Menschen“ gebrauchen (GA 786b19–22). Nach Zirins Erläuterung lässt sich diese scheinbare Diskrepanz so verstehen, dass im Fall des Menschen das Wort dialektos „conversation, or perhaps reasoned discourse“ bedeutet, während im Fall der Vögel es hat „the technical meaning ‚articulated voice‘“.19 Nach Aristoteles ist also allein der Mensch im Besitz des logos als „sinnvolle Rede“ als einer spezifischen Art der Lautgebung. Was ist der Grund dafür, dass Aristoteles, obwohl es hinsichtlich des semantischen Inhalts und der physiologischen Eigenschaften nur einen Gradunterschied zwischen der menschlichen und tierischen Kommunikation gibt, dem logos als der spezifisch menschlichen Sprachfähigkeit dennoch einen ausgezeichneten Charakter und eine besondere Rolle zuspricht?

I.3.2

Bei einer ersten Annäherung kann man auf diese Frage die Antwort geben, dass der logos sich hier auf die Sprache als Spezifikum des Menschen bezieht: Die menschliche Kommunikation, im Unterschied zu der tierischen, auf dem logos als Sprache beruht und in ihm vermittelt ist. Der λόγος aber, der aus dem Wort λέγειν stammt, das unter anderem „sprechen“ heißt, bezeichnet in diesem Zusammenhang nicht einen abstrakten Begriff der Sprache. Vielmehr ist er der Name für das menschliche Sprechen als sinnvolle Rede und das, was uns mit den anderen (sprechenden) Menschen verbindet. Darauf können wir aufgrund der zitierten Passage der Politik nicht nur aus dem Sachverhalt folgern, dass das gemeinschaftliche Sein im ganzen Abschnitt von der Kommunikation ausgehend behandelt wird ‒ und zwar sowohl im Fall der Menschen als auch der anderen Lebewesen ‒, sondern auch daraus, dass hier die Rolle des logos, der den Menschen von den anderen Lebewesen unterscheidet, etwas „darzulegen“, „zu beleuchten“, „klar oder offenbar zu machen“ (δηλοῦν) heißt. Aristoteles macht zwar keinen systematischen terminologischen Unterschied zwischen dem δηλοῦν und dem für das Bezeichnen des tierischen Zeichengebens gebrauchten σημαίνειν,20 deutet er an dieser Stelle mit den zwei verschiedenen Worten – indem er das eine mit der phōnē, das andere mit dem logos verbindet – dennoch auf die Differenz zwischen der menschlichen und der tierischen Kommunikation.

Das δηλοῦν macht nämlich hier einem etwas nicht in der Weise bekannt, dass es einfach das Zeichen (sēmeion) von etwas wäre ‒ etwa als ein unmittelbares, natürliches Zeichen, heute würde man vielleicht sagen, ein genetisch codiertes Anzeichen ‒, sondern in der Weise, dass es einem etwas durch Sprechen klar macht, zeigt, enthüllt oder offenlegt.21 Das σημεῖον ist vielmehr nur Zeichen, Anzeichen, signum im technischen und instrumentellen, eindeutiges Entsprechen und einfache Ablesbarkeit implizierenden Sinne des Wortes. Das Verb δηλόω weist aber darauf hin, dass man etwas klar macht, etwas dem anderen verständlich vermittelt, dass es also ein interpretierendes, auf Verständigung zielendes hermeneutisches Moment enthält.22

Die Erörterung der aristotelischen Konzeption von gemeinschaftlichem und politischem Leben erfordert eine tiefer greifende Erklärung der erwähnten Differenz zwischen Signalgebung und sinnenthüllender Rede. Dabei ist zunächst an die sprach- und kommunikationstheoretische Differenz zu denken, die aufgrund des aristotelischen Gebrauchs des Wortes symbolon begriffen werden kann und von Aristoteles in der Abhandlung Peri hermēneias angedeutet wird. Im ersten Kapitel dieser Abhandlung sagt er, dass die durch die Stimme ausgedrückten Inhalte (τὰ ἐν τῇ φωνῇ) symbola der Dinge sind, die unserer Seele widerfahren (τῶν ἐν τῇ ψυχῇ παθημάτων σύμβολα; Int. 16a2–3). Im zweiten Kapitel, im Kontext der Behandlung des Nennwortes (onoma), erfährt man aber über den Ausdruck „gemäß einer Übereinkunft“ (κατὰ συνθήκην), der sich früher in der Definition von onoma auf die Konventionalität des sprachlichen Zeichens bezog.

τὸ δὲ κατὰ συνθήκην, ὅτι φύσει τῶν ὀνομάτων οὐδέν ἐστιν, ἀλλ' ὅ αν γένηται σύμβολον· ἐπεὶ δηλοῦσί γέ τι καὶ οἱ ἀγράμματοι ψόφοι, οἷον θηρίων, ὧν οὐδέν ἐστιν ὄνομα.

Die Bestimmung „gemäß einer Übereinkunft“ [füge ich deshalb hinzu], weil von den Nennwörtern keines von Natur aus [ein Nennwort] ist, sondern [ein jedes] erst dann, wenn es zu einem Symbol geworden ist; denn auch solche nicht buchstabierbaren Laute wie beispielsweise die Laute der wilden Tiere geben ja etwas kund, ohne daß einer von ihnen [deshalb schon] ein Nennwort wäre (Int. 16a26–29; übers. Weidemann).23

Also auch die natürliche, nicht buchstabierbare Lautgebung24 der Tiere ist ein Anzeichen von etwas, drückt etwas aus oder offenbart etwas,25 aber nicht als sprachliches Zeichen, das die seelischen Widerfahrnisse vermittelt und ‒ wie weiter unten zu zeigen ist ‒ immer schon irgendwie interpretiert (also nicht als symbolon). „Perhaps Aristotle had in mind such vocal sounds as the roar of a lion or the trumpeting of an elephant.“26 Das erkennt man daraus, dass die als Beispiel erwähnten tierischen Laute nicht Nennwörter (onomata) sind (dasselbe kann für die unbuchstabierbaren, d. h. unartikulierten, menschlichen Laute gelten).27 Ein Zeichen muss aber, um Nennwort sein zu können, notwendigerweise schon interpretierendes sprachliches Zeichen (symbolon) sein; demgemäß sind die nicht buchstabierbaren Laute der Tiere (und der Menschen) nicht symbola (sie können aber gleichzeitig sēmeia sein).28

Jean-Louis Labarrière hat in seiner Analyse der Passage festgestellt, dass die hier erwähnten tierischen Laute „Signale“, während die Worte der menschlichen Sprache „Symbola“ sind, die eine Artikulation und Komposition, d. h. eine Zusammensetzung der in sich nicht bedeutenden einzelnen Laute, stoicheia (vgl. Po. 1456b22–25) voraussetzen.29 Die menschliche Sprache und die tierische Signalgebung sind aus semiotischer Sicht durch zwei Merkmale voneinander getrennt: durch „die Konventionalität und die phonematische Struktur des sprachlichen Zeichens“, die gemeinsam „eine zweiteilige semiotische Differenz“ bilden.30 Und während die tierischen Stimmen lediglich eine anzeichnende Rolle haben („indicatif“), interpretieren symbola immer schon das, was sie bezeichnen („interprétatif“).31

Aus dem Gesichtspunkt der Beziehung von Sprache und Gemeinschaft ist der konventionelle Charakter des sprachlichen Zeichens die wichtigere der zwei erwähnten semiotischen Differenzen, weil der für das gemeinsame Leben und die Politik wesentliche semiotische Unterschied zwischen dem tierischen Zeichensystem und der menschlichen Sprache sich eben mit der Konventionalität verbindet. Nach der Formulierung von Wolfram Ax sind die sēmeia der Tiere „zwar auch Zeichen, aber eher Anzeichen im Sinne einer unmittelbaren, im Laut selbst liegenden Ablesbarkeit des vermittelten Inhaltes, wie z. B. Schmerzlaute“.32 Während die tierischen Anzeichen von der Natur vorgeschrieben und in diesem Sinne in hohem Maße determiniert sind, und zwar sowohl in ihrer Herstellung als auch ihrem Vernehmen, werden die Elemente des menschlichen logos, die symbola, durch Übereinkunft konstituiert (kata synthēkēn).33 Sie bedeuten etwas nicht als organon (das entspricht dem physei in 16a27, zitiert oben), sondern durch Konvention (Int. 16b33‒17a2).34

Die Konventionalität der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem und vor allem die Tatsache, dass in der menschlichen Sprache nicht bloße Zeichen, sondern Worte und Sätze gebildet werden, hat eine eigentümliche Konsequenz. Das bewirkt nämlich, dass die Worte und Sätze als symbola (die auch als „bejahende und verneinende Aussage“ symbola sind: Int. 24b1–2) der Sprache und der Rede – also nicht einfach dem Zeichengebrauch – eine hochgradige Freiheit und Gestaltbarkeit sichern und sie gleichzeitig unsicher und unbestimmt machen. Die (In)Determination der Bedeutung durch Konvention produziert Unterschiede im Verstehen der Wörter, die sich als Elemente der Sprache auf konzeptuelle Inhalte beziehen. Ich zitiere die Formulierung von Polansky und Kuczewski: „Our thoughts of tiger, red, water, chair, etc. are likely closely shared, which may not be the case with our thoughts of virtue, soul, aither, molybdenum.“35 Man kann dieses Eigentum der konzeptuellen Sprache die implizite sprachliche Interpretation von Referenz nennen. Im konkreten Sprachgebrauch bildet die innere interpretative Struktur der Referenz den Grund für verschiedene Gedanken (noēmata; ta en tē dianoia) und Meinungen (doxai).36 Hierauf wird diese implizite Interpretation der Referenz der Wörter ‒ diese Interpretation ist von vornherein, wie gesagt, jedem Wort eigen, sofern es nicht in natürlicher, sondern konventioneller und so „interpretativer“, d. h. immer schon Differenzen hervorrufender Weise etwas bezeichnet – im lebendigen Sprachgebrauch der Menschen Gegenstand weiterer Interpretationen und Diskussionen, die einen Grund für verschiedene Meinungen und Überzeugungen bilden.37 Die Eigenschaft der menschlichen Sprache, auf symbola aufzubauen, ergibt eine Offenheit, die die hochkomplexe Kommunikation gleichzeitig benötigt und ermöglicht.

Wie erwähnt, der Grad der Unterschiede in Gedanken und Meinungen hängt von der Komplexität der durch die Wörter referierten begrifflichen Inhalte ab. Die oben zitierte Liste der Begriffe (Tugend, Seele, Äther, Molybdän) lässt sich mit den ethisch-politischen Begriffen der am Anfang zitierten Politik-Stelle ergänzen: das Nützliche und Schädliche, das Gerechte und Ungerechte.38 Aristoteles hebt diese ethisch-politische Funktion der menschlichen Sprache mehrmals hervor.39

Diese sprach- und kommunikationstheoretische Einsicht hat wesentliche Konsequenzen hinsichtlich des spezifischen gemeinschaftlichen Lebens der Menschen, weil eben diese für das symbolon konstitutive Konventionalität das ist, was dem menschlichen Zusammenleben einen spezifischen, die tierischen Gruppierungen übertreffenden Charakter gibt. Eben diese Konventionalität der Symbola ‒ als „artificial, significant, linguistic representations“40 ‒ setzt die menschliche Sprache in einen offenen Raum, der der tierischen Kommunikation mangelt.41 Und dies übt verschiedene Wirkungen auf das gemeinschaftliche Leben der Menschen aus.

Erstens, da die Offenheit dieser Sprache eine ständige Verabredung und Besprechung nötig macht, kann allein die ununterbrochene Kommunikation die menschliche Gemeinschaft ausformen und erhalten.42 Gleichzeitig macht diese Offenheit das ständig zu erhaltende Gespräch nicht nur nötig, sondern auch möglich. Die bestimmte gemeinsame Tätigkeit (ergon), die Aristoteles für die Gemeinschaft der politischen Lebewesen für konstitutiv hält (HA 488a7–10, zitiert in I.1.), lässt sich nämlich in ihrer Konkretion im Kreis der Menschen nur durch eine solche Komplexität bestimmen, die die Tiere nicht erreichen können. Und zwar deshalb nur in ihrer Konkretion, weil über das ergon des Menschen im Allgemeinen nicht das Individuum, auch nicht die Gemeinschaft entscheidet: Das ergon des Menschen ist die Verwirklichung der tugendhaften Handlung in der Polis. Die Entscheidung über derer genauen Inhalt, Weisen und Mittel, und dann die entsprechende Handlung liegt aber in der Macht der Menschen. (Nach meiner Auffassung können die Tiere sie einerseits eben wegen der Offenheit niedrigerer Stufe ihrer Kommunikation nicht erreichen, was sich andererseits aus der Tatsache ergibt, dass bei den Tieren auch die gemeinsame Handlung einem genetisch codierten Muster folgt. Die biologische und die kommunikationstheoretische Erklärung verbinden sich miteinander.) Der erste Schritt der Bestimmung und dann der Verwirklichung der gemeinsamen Tätigkeit lässt sich durch die Überlegung der Ziele, Mittel und Handlungsweise machen. Also, um ins Feld der Politik im engeren Sinne zu treten und politische Terminologie zu verwenden, ist letztendlich die sich auf den logos gründende öffentliche Deliberation (bouleusis) das, was den Menschen von den anderen politischen Lebewesen unterscheidet.43

Weiterhin lassen sich daraus nicht nur die Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer politischen Gemeinschaft erläutern, sondern auch die Verschiedenheiten der politischen Lebensformen.44 Und darüber hinaus ‒ um mit den Begriffen der Gehlenschen Anthropologie zu sprechen ‒ hängt auch die „Weltoffenheit“, die „Unbestimmtheit“ des Menschen mit seiner Sprachfähigkeit zusammen,45 ja dem logos (hier als Verstand und Sprache) ist zu verdanken, dass das Verhalten der Menschen durch die Natur und die Gewohnheit nicht völlig bestimmt ist: Wenn sie es für besser halten, können sie diese mithilfe des logos überschreiten (Pol. 1332b3–8).

II.

Nachdem der Unterschied zwischen logos und phōnē sprach- und kommunikationstheoretisch umrissen und die sich daraus ergebenen Folgerungen hinsichtlich des menschlichen Zusammenlebens gezogen worden sind, betrachten wir endlich die Teile (2b) und (2c) des Politik-Zitats aus dem Gesichtspunkt der „darzulegenden“ eigenartigen Inhalte des logos. Dazu sollen die Gegensatzpaare von Nützlichem und Schädlichem, Gutem und Schlechtem, Gerechtem und Ungerechtem von ihrem aisthēsis-Charakter her begriffen (II.1.), dann aber ihr Zusammenhang mit dem Begriff der „Gemeinschaft“ (κοινωνία) erörtert werden (II.2.). Dabei übergehen wir vom Feld der Politik im weiten (antiken) Sinne zum Bereich der Politik im engeren Sinne.46 Danach lassen sich die Ergebnisse der Analyse zusammenfassen (II.3.).

II.1.

Im Sinne der sprachtheoretischen Ausführungen von Aristoteles ist das Gemeinsame von logos und phōnē, dass beide sich auf Zusammenknüpfung von Zeichen und Bezeichnetem bauen, ihr Wesensunterschied liegt aber darin, dass der logos die semantische Differenz bestimmter Inhalte in sich hat, die die menschliche Sprache zu einem bedeutenden gesellschaftlichen Mittel machen.47 Denn was die artikulierte und auf Symbola gebaute menschliche Sprache interpretierend klar macht oder enthüllt, ist nicht eine primäre Wahrnehmung oder Empfindung (aisthēsis), nicht ein instinktiver Ausdruck elementarer Erfahrung von Schmerz und Lust, sondern eine komplexere, differenziertere, durch eine Interpretation entstandene Erscheinung.

Die mittels Konvention bedeutende menschliche Sprache setzt immer ein komplexes Beziehungssystem voraus. Ein Beispiel dafür kann das von Aristoteles erwähnte Begriffspaar von Nützlichem und Schädlichem sein. Weil das Nützliche und das Schädliche sich ausschließlich in einem komplexeren Lebenszusammenhang verstehen lassen – im Gegensatz zu Schmerz und Lust –, werden sie notwendigerweise auf diesen bezogen. Die Eigentümlichkeit der Sprache ist eben dies, dass sie „sich selbst und dem anderen“ komplexere Zusammenhänge, „Sachverhalte vorzustellen“ vermag.48 Deshalb lässt sich diese enthüllende Leistung der Sprache im δηλοῦν nicht einfach als Kommunikation im technischen oder instrumentellen Sinne auffassen, sondern sie vollzieht sich immer in einer gemeinsamen Welt und verweist immer auf diese gemeinsame Welt.49

Im Unterschied zu der Unmittelbarkeit, dem primär körperlichen Erlebnis des Schmerzes und der Lust, also im Gegensatz zur Wirkung des Schmerzes und der Lust, die die Handlung nur in der Präsenz und unmittelbar beeinflusst, verlangt die Beleuchtung des Nützlichen und Schädlichen, der erwähnten „Weltlichkeit“ gemäß, eine Offenlegung komplexerer Beziehungssysteme, eine Überlegung von Werten, Interessen, Situationen sowie verschiedenen, temporal und räumlich fernen50 Handlungsmöglichkeiten. Die Entscheidung darüber, was nützlich und was schädlich ist, geht nämlich über die unmittelbare Erfahrung der Lust und des Schmerzes hinaus, weil diese Entscheidung ein Urteil braucht, das komplexer als die bloße Empfindung ist.51 Nützlich oder schädlich kann etwas ausschließlich für jemanden, irgendwann, unter irgendwelchen Umständen, aus irgendwelchem Gesichtspunkt sein und es bezieht sich unbedingt auf etwas anderes, das über die unmittelbaren Gegebenheiten liegt – bei Aristoteles auf ein weiteres Ziel, auf das Gute.52 „[D]er Mensch hat eben durch diese Fähigkeit des »Logos« Sinn für das, was zuträglich und was abträglich ist. Das heißt, er hat Sinn für etwas, was im Augenblick vielleicht nicht verlockend ist, aber für später etwas verspricht. Er hat also die eigentümliche Freiheit, sich auf Ziele in der Ferne hin zu entwerfen und die rechten beiträglichen Mittel zur Erreichung des Zieles zu suchen.“53 Und obwohl die aisthēsis bei Aristoteles eine Mitteilung für andere Personen nicht voraussetzt und auch nicht beinhaltet, kann diese seelische Fähigkeit, mindestens in ihrer komplexeren Form, nicht unabhängig von der konstitutiven Rolle der Sprache sein. Letztendlich setzt die „Empfindung“ von etwas als nützlich oder schädlich sowie von ähnlichen Gegensätzen (und nicht nur die Mitteilung dieser „Empfindung“) die oben erwähnte, über unmittelbare Gegebenheiten hinausgehende Beziehung voraus, die aber ausschließlich der logos möglich macht.54

Das zeigt sich noch deutlicher, wenn man die Fortsetzung des Satzes in (2b) ins Auge fasst: Der logos dient dazu, das Nützliche und Schädliche „und daher auch das Gerechte und Ungerechte“ (ὥστε καὶ τὸ δίκαιον καὶ τὸ ἄδικον) darzulegen.55 Wenn man also auf das Nützliche und Schädliche von dem Gerechten und Ungerechten her zurückblickt, zeigt es sich noch klarer, dass diese Begriffe immer schon in einem komplexen Lebenszusammenhang, der sich erst in einer Gemeinschaft herausbildet, zu verstehen sind. Das Gerechte und Ungerechte verweisen nämlich auf einen Wert (bzw. den Mangel desselben), der sich ausschließlich in einer Gemeinschaft unter Menschen möglich ist,56 und das Leben und die Kommunikation dieser Gemeinschaft geht über die physiologischen Wirkungen und die diese quasi unmittelbar und unreflektiert zeichnenden Stimmen hinaus.57 Gleichzeitig ist diese Form der Gemeinschaft nur in der vollkommensten Organisationsform des politischen Lebens, d. h. in der Polis, zu verwirklichen.58

Das Gerechte und Ungerechte sind von den Sophisten und dann in ausgearbeiteter Form von Platon an Grundkategorien der westlichen praktischen Philosophie. Diese Kategorien tragen ‒ trotz oder eben wegen ihres umstrittenen Charakters, ihrer inhärenten und historischen Komplikationen und Überladenheit – bis heute diese Denktradition und bestimmen, regulieren oder eben umstürzen den Raum politischer Handlung. Aristoteles hält die Begriffe Gut und Schlecht, Gerecht und Ungerecht für wesensmäßig politisch. Da sollte man nicht nur daran denken, dass der Gegenstand der Ethik von vornherein etwas Politisches ist, da die Ethik bei Aristoteles einen Teil der politikē bildet.59 Sondern auch daran, dass der erste Satz des Teils (2c) der zitierten Politik-Passage als die ihn von den anderen Lebewesen unterscheidende Eigentümlichkeit (idion)60 des Menschen angibt, dass allein er „ein Empfinden (αἴσθησιν) für Gut und Schlecht, Gerecht und Ungerecht und anderes“ hat. Diese eigentümliche aisthēsis verkörpert hier deutlich mehr als das, was die Empfindung (aisthēsis) des Schmerzes und der Lust den Tieren ermöglicht. Der Mensch empfindet oder nimmt das Gute und Schlechte, das Gerechte und Ungerechte nicht als sinnliche Erfahrung oder inneres Gefühl auf, sondern in einem viel breiteren Sinne von sensus (sentire), der dem lateinischen Wort und dessen Ableitungen (le sens, sense) sowie dem verwandten indoeuropäischen Wort (der Sinn) innewohnt. Diese begrifflichen und praktischen Wertinhalte sind ja keine Gegenstände der unmittelbaren physischen Erfahrung, sondern sie werden als grundlegende politische Organisationskräfte einer mit anderen Menschen geteilten, mit Sinn geladenen Welt konstituiert. Die aisthēsis bedeutet hier also sicherlich nicht einfach Empfindung oder Gefühl, sondern die Auffassung, das sinnvolle Begreifen dieser Werte aufgrund eines Urteils61 ‒ oder einen Sinn für sie.62

II.2.

Nach dem zweiten Satz des Teils (2c), dem letzten der zitierten Passage der Politik I 2, kann nicht die „Empfindung“ (d. h. sinnvolle Auffassung) des Guten und Schlechten, Gerechten und Ungerechten in sich selbst, sondern erst und nur die „Gemeinschaft“ (κοινωνία) in diesen Empfindungen (d. h. in den ethisch-politischen Werten selbst) einen Haushalt und eine polis begründen. Der begriffliche Inhalt der koinōnia erschöpft sich hier nicht bloß in der communitas, im Wort koinōnia klingt nämlich auch die mit der communicatio verbundene Entstehung dieser communitas an. Das Verb κοινόω hat ja, wie das lateinische communicare und das deutsche teilen, eine zweifache Bedeutung: Es bedeutet das Teilen von irgendwelchen Dingen (und die durch dieses Teilen entstandene Gemeinschaft) sowie das Mitteilen, also die Kommunikation als Teilen von irgendwelchen geistigen Inhalten.63 In diesem Zusammenhang ist eine Stelle der Nikomachischen Ethik zu zitieren, die nicht nur in Bezug auf die koinōnia (im Text als Infinitiv: κοινωνεῖν), sondern auch für die früher diskutierte Differenzierung von Belang sein kann, die die Gemeinschaft der Menschen von der der anderen Lebewesen abgrenzt. Aristoteles erörtert hier das Zusammenleben (συζῆν) von Freunden als etwas, das sich „beim Mitteilen von Worten und Gedanken“ (κοινωνεῖν λόγων καὶ διανοίας) verwirklicht: „Ebendies dürfte nämlich das Zusammenleben bei Menschen bedeuten, und nicht das Grasen am selben Ort wie bei den Herdentieren“ (1170b11–14, übers. Frede).64 Eckart Schütrumpf weist darauf hin, dass das (in I.3.2. schon angesprochene) Vorkommen des δηλοῦν in Politik 1253a14 den Gedanken vorbereitet, dass die Menschen eine durch das Recht organisierte politische Gemeinschaft schaffen, also der Fortschritt „vom Mitteilen zum Teilen, communication zu community“ sich schon im δηλοῦν vollzieht.65 Wenn man das auf den Teil (2c) der Politik-Stelle bezieht, dann könnte man sagen, dass erst das im Sprechen vollzogene Teilen von den erwähnten, ethisch-politischen aisthēseis eine (politische) Gemeinschaft (κοινωνία) ermöglicht.66 Diese spezifische „Gemeinschaft“ bedeutet also in ihrem vollen Sinne das politische Zusammenleben, das auf gemeinsamen ‒ oder mindestens gemeinsam diskutierbaren ‒ Werten beruht und im Medium der Sprache vernünftig regiert wird.

Demzufolge setzen das Nützliche und Schädliche, Gerechte und Ungerechte als Relationsbegriffe allerdings nicht nur einen komplexen Beziehungsrahmen in einer mit Sinn geladenen Welt voraus, sondern sie ziehen nach sich die Möglichkeit ‒ und meistens auch deren Verwirklichung ‒, dass jene anderen, für die wir den nützlichen oder schädlichen, gerechten oder ungerechten Charakter von etwas offenlegen, infolge der Differenz der Beziehungsrahmen, die die Interpretation der begrifflichen Inhalte der Wörter bestimmen, ein von unserem Urteil abweichendes Urteil fallen können. Es geht hier um den fraglichen und umstrittenen (also diskutierbaren) Charakter der ethischen und politischen Begriffe.67 Es geht hier also um das, was oben (I.3.2.) ‒ in Verbindung mit den kommunikativen Folgen der mit der Konventionalität zusammenhängenden „Offenheit“ der sich auf symbolon gründenden menschlichen Sprache ‒ über die Offenheit der Deliberation gesagt worden ist, die im Medium des logos Meinungsverschiedenheiten vermittelt. Diese jeweilige Differenz der Beziehungsrahmen hat allerdings eine entscheidende Bedeutung für die Entstehung der Politik.

Denn einerseits entspringt die Differenz zwischen Meinungen und Urteilen in Bezug auf die öffentlichen Sachen aus dieser Differenz – aus der Tatsache „[der] Pluralität der Menschen“68 –, und diese Differenz der Meinungen bildet nach Arendt eine Voraussetzung für die Entstehung der Politik. Die Meinungsverschiedenheit und der Streit als die jeweilige Wirklichkeit der öffentlichen Sachen sind das Ergebnis jenes dynamischen Spielraums der Möglichkeiten, der ausschließlich im offenen Raum der Sprache und von der Sprache geöffneten Raum ‒ im Raum des Gesprächs69 ‒ zustande kommen kann. Dieser Raum ist allerdings nicht nur der Spielraum von Gedanken und Reden, sondern „in dem [stehen] auch die Entscheidungen […], in denen sich der beständige Kampf um Herrschaft und Unterliegen abspielt“, also das ist die Politik als „der Spielraum menschlicher Geschichte“.70

Andererseits macht eben die Verschiedenheit der Meinungen und Urteile eine solche Vermittlung nötig, die einen Ausgangspunkt für die koordinierte Handlung ‒ die ja die Politik selbst ist ‒ sichern kann. Im weiten Zusammenhang betrachtet beinhaltet die Gemeinschaft (κοινωνία), auf die Aristoteles am Ende der zitierten Politik-Passage verweist, auch diese Vermittlung und Koordination, die für die Ausgestaltung der komplexeren Formen der politischen Organisation und Deliberation unentbehrlich sind.71 Und für das Errichten und Arrangieren der politischen Institutionen und der politischen Entscheidungsprozesse sowie der sich auf sie gründenden politischen Handlung in der Polis gewährt der logos, Sprache und Sprechen, einen tragenden Grund und ein Medium. Im zitierten Abschnitt der Politik wollte Aristoteles diesen komplexen Zusammenhang begründen.

II.3.

Unsere Analysen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. Unter den anderen politischen Lebewesen ragt der Mensch sowohl im Sinne von Gradunterschied als auch im qualitativen Sinne heraus. Diese Überlegenheit lässt sich mit der Tatsache erklären, dass allein der Mensch den logos hat, der für ihn ermöglicht, sein eigentümliches ergon, das komplexer als das der anderen politischen Lebewesen ist, zu erfüllen. Denn dieser logos, der von der phōnē vor allem aufgrund seines symbolon-Charakters und seiner mit diesem symbolon-Charakter zusammenhängenden Konventionalität verschieden ist, setzt jene offene ‒ und daher dauernde verbale Tauschprozesse nötig und möglich machende ‒ spezifische Kommunikation in Betrieb, die das spezifisch menschliche gemeinschaftliche Leben begründet und bestehen lässt. Die Betätigung des logos vermittelt auch die verschiedenen aisthēseis von den ethischen und politischen Vorstellungen und die zu verwirklichenden Werte, indem der Mensch mithilfe des logos offenlegen kann, was aus den Gesichtspunkten der jeweiligen verschiedenen Beziehungsrahmen als nützlich und schädlich, gerecht und ungerecht erscheint. Im Medium des logos vollzieht sich die öffentliche Deliberation, deren Verlauf immer offen ist und die die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der einzelnen Ziele, der Verfahren, der Handlungsweisen und der zu verwendenden Mittel vermittelt. Durch diese Vermittlung begründet sie die politischen Institutionen und die konkrete politische Handlung. Das Teilen der ethischen und politischen Wertvorstellungen im Medium des logos und die auf diesen Vorstellungen beruhende gemeinsame Handlung schaffen und unterhalten die polis, die für Aristoteles die oberste Form der politischen Gemeinschaft darstellt.

Die Arbeit an diesem Beitrag wurde vom Nationalen Büro für Forschung und Innovation (Ungarn) (NKFIH 132113) finanziell gefördert. Der Autor ist dankbar für die Vorschläge der anonymen GutachterInnen.

1

Aristoteles: Politik. Buch I. Übersetzt und erläutert von E. Schütrumpf. Darmstadt 1991.

2

Kullmann, W.: Der Mensch als politisches Lebewesen bei Aristoteles. Hermes 108 (1980) 419–443, hier 432.

3

Cooper, J.: Political Animals and Civic Friendship. In Patzig, G. (Hg.): Aristoteles Politik: Akten des XI. Symposium Aristotelicum. Göttingen 1990, 221–241, hier 226; Depew, D. J.: Humans and Other Political Animals in Aristotle’s “History of Animals”. Phronesis 40.2 (1995) 156–181, hier 169.

4

Mulgan, R. G.: Aristotle’s Doctrine that Man is a Political Animal. Hermes 102 (1974) 438–445, hier 443; Depew (Anm. 3) 161.

5

Über die mehr/weniger Differenz unter den Formen einer Spezies siehe Lennox, J. G.: Kinds, forms of kinds, and the more and the less in Aristotle’s biology. In Gotthelf, A. – Lennox,J. G. (Hg.): Philosophical Issues in Aristotle’s Biology. Cambridge 1987, 339–359.

6

Pellegrin, P.:Endangered Excellence. On the Political Philosophy of Aristotle. Trans. A. Preus. Albany 2020, 86.

7

Anton, J. P.: Aristotle on the Nature of Logos. Philosophical Inquiry 18.1–2 (1996) 1–30, hier 26.

8

ContraTrott, A.:Aristotle on the Nature of Community. Cambridge–New York 2014, 96.

9

Aristoteles formuliert das Prinzip mehrmals, in verschiedenen Kontexten. In breiterem naturphilosophischem Zusammenhang: Cael. 271a33, 291b13–14; in Bezug auf die biologischen Bestimmtheiten der Lebensweise: Pol. 1256a20–21; die Körperteile betreffend: PA 658a5–10, 661b22–25, GA 744a33–38; über die biologische Funktion der zwei Geschlechter: GA 741b2–5. Aus der Hinsicht des für uns jetzt relevanten Zusammenhangs könnten jene zwei Stellen besonders interessant sein, wo Aristoteles bezüglich des erwähnten Prinzips über die zweckmäßige Konstitution der Lebewesen redet (MA 704b12–18, 708a9–12), und vor allem de An. 434a30–32, wo er die aisthēsis (also eine, ähnlich wie der logos seelische Fähigkeit) als eine zweckmäßige und natürliche Fähigkeit erwähnt. Für die explizite Behauptung, dass auch der logos selbst von Natur aus wäre, habe ich keine Stelle gefunden, aber darauf kann man aufgrund des bisher Gesagten begründet schließen, vielmehr auch aufgrund der Stellen, die im Teil I.3.1. bei der Erörterung des logos als Redefähigkeit kommentiert werden (HA 536b2; PA 659b27–660a13, 22–23; GA 786b19–22).

10

Kullmann (Anm. 2) 424; Schütrumpf (Anm. 1) 216–217; Pangle, Th. L.:Aristotle’s Teaching in the Politics. Chicago–London 2013, 37; Pellegrin (Anm. 6) 84, 91–93.

11

Rese, F.:Praxis und Logos bei Aristoteles. Handlung, Vernunft und Rede in Nikomachischer Ethik, Rhetorik und Politik. Tübingen 2003, 271.

12

Ax, W.:Laut, Stimme und Sprache. Studien zu drei Grundbegriffen der antiken Sprachtheorie. Göttingen 1986, 127.

13

Über phōnē siehe de An. 420b5‒421a6, HA 535a27‒536b23. Vgl. Zanatta, M.: Voice as Difference in Aristotelian Zoology. Journal of Ancient Philosophy 7.1 (2013) 1–18.

14

Heidegger, M.:Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie. Frankfurt am Main 2002, 53–55.

15

Ax, W.: ψόφος, φωνή und διάλεκτος als Grundbegriffe aristotelischer Sprachreflexion. Glotta 56 (1978) 245–271, hier 257–258; Ax: Laut (Anm. 12) 130; Zirin, R. A.: Aristotle’s Biology of Language. TAPhA 110 (1980) 325–347, hier 335.

16

Zirin (Anm. 15) 326. (Hervorhebung von mir: A. S.) Aufgrund der zitierten Politik-Stelle könnte man Zirins Formulierung hinzufügen, dass die tierische Kommunikation nicht solche komplexeren und zu besprechenden Wahrnehmungen und Empfindungen (aisthēseis) vermitteln kann, die der menschliche logos zu vermitteln fähig ist. Aber darüber später mehr.

17

Ax: ψόφος (Anm. 15) 258–261; Ax: Laut (Anm. 12) 130.

18

Das idion bedeutet bei Aristoteles im engeren Sinne ein Merkmal, das einerseits exklusiv ist, also eine Differenz zeichnet, die das konkrete Seiende von allen anderen trennt, gibt aber das Wesen dieses Seienden nicht an (Topik 102a18–20).

19

Zirin (Anm. 15) 341‒342; ähnlich Pellegrin (Anm. 6) 84, 86.

20

ContraRese (Anm. 11) 269. Zum Beispiel in Hermeneutik 16a19–29, das sogleich erörtert wird, verweist σημαίνειν auf die Darstellungsart der menschlichen Sprache, δηλοῦν auf die unartikulierte Laute als Anzeichen der Lebewesen.

21

W. L.Newman (The Politics of Aristotle. Vol II. Oxford 1887, 123) zitiert die Erörterung des Rhetors und Grammatikers (und nicht zuletzt Aristoteles-Übersetzers) Marius Victorinus aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. über die Stelle, laut der σημαίνειν auf Signalgebung deutet, δηλοῦν aber auf das Klarmachen, Offenbarmachen, Enthüllen von etwas durch Sprechen: signa dant, haec enim notio est verbi σημαίνειν: homines autem oratione declarant aperiuntque, hoc enim valet verbum δηλοῦν.

22

Siehe LSJ s. v. σημεῖον, δηλόω.

23

Aristoteles: Peri Hermeneias. Übersetzt und erläutert von H. Weidemann. Berlin 1994.

24

Zur Bedeutung von agrammatoi siehe Weidemann (Anm. 23) 168.

25

Hier kann man sehen, dass Aristoteles auch in diesem Zusammenhang das Wort δηλοῦν verwendet, also, wie schon angedeutet, zwischen δηλοῦν und σημαίνειν terminologisch nicht unterscheidet. Vgl. Weidemann (Anm. 23) 166; Polansky, R. – Kuczewski, M.: Speech and Thought, Symbol and Likeness: Aristotle’s De Interpretatione 16a3–9. Apeiron 23/1 (1990) 51–63, hier 59, Anm. 17.

26

Zirin (Anm. 15) 337.

27

Siehe z. B. HA 536b3–5, PA 660a25–27; vgl. Po. 1456b22‒25: die unartikulierte Laute (ἀδιαίρετοι φωναί) der Tiere sind nicht Phoneme (στοιχεῖον). Über den phonetischen Gebrauch von gramma, agrammatos usw. und den phonetischen Grund der Namen als zusammengesetzten Einheiten siehe Zirin (Anm. 15) 337: „We can see that if the indivisible vocal sounds of wild animals are not phonemes, it is because they are not used to form composite units. The physiological mechanisms of articulation are not present in such animals, and as a result they are capable of voice but not of speech.“

28

In einem weniger strengen Wortgebrauch macht Aristoteles auch zwischen sēmeion und symbolon keinen Unterschied; siehe z. B. Int. 16a4 und 6. Jedoch ist die oben zitierte Stelle (16a26–29) nur in dieser Weise zu verstehen, und zwar nicht nur aufgrund von den oben dargestellten Zusammenhängen, sondern auch von anderen Stellen; siehe Sens. 437a9–15, SE 165a6–13, Int. 24b1–2; Ax: ψόφος (Anm. 15) 265.

29

Labarrière, J.-L.: Imagination humaine et imagination animale chez Aristotle. Phronesis 29.1 (1984) 17–49, hier 39; Ax: Laut (Anm. 12) 135.

30

Ax: Laut (Anm. 12) 136.

31

Labarrière (Anm. 29) 39. Zur Beleuchtung der Differenz von der tierischen Lautgebung und der durch symbola mitteilenden menschlichen Sprache könnte man nicht unberechtigt auf die Differenzierung zwischen Index und Symbol von Peirce hinweisen, der selbst auch auf die Beziehung zwischen seinem Termin symbol und dem aristotelischen symbolon hindeutet.

32

Ax: Laut (Anm. 12) 135.

33

Polansky–Kuczewski (Anm. 25) 59–60; Zirin (Anm. 15) 329.

34

Weidemann (Anm. 23) 190. Man muss dabei aber bemerken, dass das hier dargestellte Bild über die menschliche und tierische Kommunikation durch eine Stelle der HA einigermaßen verwirrt wird. Dort leugnet Aristoteles den bloß natürlichen Charakter bestimmter Laute von Vögeln, indem er über die Verschiedenheiten, die gemäß den Differenzen des Lebensraums (κατὰ τοὺς τόπους) in der Lautgebung derselben Art eintreten, redet und die „Gestaltbarkeit“ (ἐνδεχόμενον πλάττεσθαι) und „Lehrbarkeit“ (ἀηδὼν νεοττὸν προδιδάσκουσα) dieser Laute erwähnt, wobei er diese Erscheinungen auch mit den Verschiedenheiten der menschlichen Sprachen in Parallele setzt (536b8–20). Daraus folgt aber gleichzeitig nicht, dass auch die „Sprache“ der Tiere Produkt einer Konvention wäre (paceAx: ψόφος [Anm. 15] 266). Unter „Konvention“ verstehe ich in diesem Zusammenhang natürlich eine Art „spontan entstandene Übereinkunft“, nicht eine wörtlich genommene „Verabredung über eine Verständigungsmittel“, die eine Sprache schon voraussetzen würde. Vgl. Gadamer, H.-G.:Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 2. Aufl., durch einen Nachtrag erweitert. Tübingen 1965, 408.

35

Polansky–Kuczewski (Anm. 25) 57.

36

Int. 16a9‒18, 23a32‒35, 24b1‒2; Polansky–Kuczewski (Anm. 25) 56. Zur Möglichkeit der Fehlschlüsse und des Missverständnisses, die sich aus dieser Charakteristik der Sprache ergibt, siehe SE 165a6–17; Ax: ψόφος (Anm. 15) 262–266; Ax: Laut (Anm. 12) 135.

37

Hier soll erwähnt werden, dass wenn die Schrift Über die Wahrnehmung und die Wahrgenommenen die entscheidende Rolle des Hörens im Denken und Lernen hervorhebt, dann verknüpft sie diese Rolle mit der Eigentümlichkeit des logos, dass er aus Wörtern (eigentlich „aus Nennwörtern“, ἐξ ὀνομάτων) besteht, die alle symbola sind (Sens. 437a9–15).

38

Der ethische und politische Aspekt des Unterschiedes zwischen Mensch und Tier erscheint bereits bei Hesiod, siehe Op. 274–280; Kleczkowska, K.: Those Who Cannot Speak. Animals as Others in Ancient Greek Thought. Maska 24 (2014) 97–108, hier 99–100.

39

Siehe z. B. PA 656a3‒7, vgl. 659b27‒660a13, 22–23; de An. 420b16–22.

40

Polansky–Kuczewski (Anm. 25) 60.

41

Rese (Anm. 11) 272.

42

Vgl. Berger, P. L. – Luckmann, Th.:The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge. London 1991, 49–61, 172–174.

43

Kraut, R.:Aristotle. Political Philosophy. Oxford 2002, 251–252; Cherry, K. M.:Plato, Aristotle, and the Purpose of Politics. Cambridge 2012, 61, 70; Pellegrin (Anm. 6) 86. Dieser Gedanke erschien schon vor Aristoteles. Nach Xenophon (Mem. IV 3. 12) ist die Fähigkeit für sprachliche Kommunikation (Sprechen und Verstehen, hermēneia) die Quelle aller menschlichen Güter, aus der die Begründung der Rechtsordnung und die Lebensweise in der Polis fließen. Isokrates (Nikokles 6–10; Antidosis 254–258) bindet die Errungenschaften der Zivilisation (z. B. das Leben in der Polis und die Gesetzgebung) an das einander Überzeugen, die Deliberation und das Klarmachen (δηλοῦν!) der Dinge.

44

Depew (Anm. 3) 180; ähnlich Cherry (Anm. 43) 65.

45

Vgl. Gehlen, A.:Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt [Gesamtausgabe Bd. 3.1]. Frankfurt am Main 1993, 29–40, 47–52. Die „Unbestimmtheit“ dieser Art widerspricht nicht dem, dass Aristoteles „das Gute für Menschen“ doch bestimmt: Er sieht das Ziel des Menschen in der Glücklichkeit (eudaimonia), derer vollkommenste Verwirklichung die theōria ist. Die theōria gründet sich nämlich auf das praktische Leben des Menschen in der Polis und lässt sich ohne autarkeia, die das praktische Leben sichern kann, nicht erreichen (EN X 7–9). Über den Zusammenhang von (ungeselliger) theōria und (ausschließlich in einer Gemeinschaft vollziehbarer) praxis siehe vor allem Kullmann (Anm. 2) 441–442, Depew (Anm. 3) 175–181, Trott (Anm. 8) 93–104.

46

Erwähnenswert ist hier, dass das Nützliche und Schädliche (sympheron und blaberon) bei Aristoteles Gegenstände der (politischen) Beratungsrede sind (Rh. 1358b22). Also ist der politische Zusammenhang implizit schon hier anwesend. Das dikaion und adikon als gerecht und ungerecht sind die Gegenstände der Gerichtsrede (Rh. 1358b25–26) und so verweisen sie explizit auf die Sphäre des Rechts (und mittelbar auf die der Politik).

47

Ax: Laut (Anm. 12) 130.

48

Gadamer, H.-G.: Historik und Sprache. In Hermeneutik in Rückblick [Gesammelte Werke Bd. 10]. Tübingen 1995, 324–330, hier 326.

49

Heidegger (Anm. 14) 63. Die elementare Form des In-Seins in einem Beziehungssystem, d. h. in einem Lebenszusammenhang, in einer Welt, bzw. des Verstehens der Dinge in Relationen ist das, was Heidegger bei der Interpretation der auch hier zu erörternden Aristoteles-Passage (und später in Sein und Zeit bei der Entwicklung seiner eigenen Ontologie) als-Struktur nennt (Heidegger [Anm. 14] 60).

50

Zirin (Anm. 15) 326.

51

Über den Zusammenhang zwischen der Fähigkeit der Unterscheidung oder des Urteils (krisis, krinein) und dem logos vgl. APo. 99b35–100a3 sowie Pol. 1254b23–24, wo Aristoteles behauptet, dass die Tiere, weil sie über die Empfindung hinaus keinen logos haben, den unmittelbaren Empfindungen, pathēmata, dienen (παθήμασιν ὑπηρετεῖ); Anton (Anm. 7) 19.

52

Rese (Anm. 11) 273–274.

53

Gadamer (Anm. 48) 326–327.

54

Rese (Anm. 11) 276–277.

55

Zur engen Beziehung zwischen dem Nützlichen und dem Gerechten siehe NE 1129b14‒19, 1130a4‒5, 1134a6‒11.

56

NE 1129b25–27, 31–33, 1130a2–5.

57

Rese (Anm. 11) 273.

58

Schütrumpf (Anm. 1) 216.

59

Siehe vor allem NE I 1 und X 10; Reeve, C. D. C.: Aristotle on the Virtues of Thought. In Kraut, R. (Hg.): The Blackwell Guide to Aristotle’s Nicomachean Ethics. Malden–Oxford–Carlton 2006, 198–217, hier 210.

60

Zum Begriff des idion siehe Anm. 18.

61

Newman (Anm. 21) 124; Bonitz, H.:Index Aristotelicus. Berlin 1955 (1870), 21a1–5.

62

Bonitz interpretiert diese Bedeutung der aisthēsis mit den Formulierungen usum habere alicuius rei, novisse aliquid. Zu dieser Bedeutung der aisthēsis siehe z. B. Pol. 1281b31–37, wo Aristoteles über den politischen „Sinn“ (aisthēsis) der Bürger redet, mithilfe dessen sie an der politischen Deliberation und am Gerichtswesen nützlich teilnehmen können.

63

Unter den Vorkommnissen des Substantivs κοινωνία, das nicht unmittelbar aus κοινόω, sondern aus dessen weitergebildeter Form, dem Verb κοινωνέω, stammt, fand ich kein Beispiel für die Bedeutung „Kommunikation“. Aber das κοινώνημα – das ein nomen rei actae aus dem Verb κοινωνέω ist und das Ergebnis der im Verb befassten Handlung bezeichnet – bedeutet auch den Gegenstand der Kommunikation. (Siehe dazu die diesbezüglichen Schlagwörter von LSJ mit Referenzen).

64

Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von D. Frede. Berlin‒Boston 2020.

65

Schütrumpf (Anm. 1) 213.

66

Rese (Anm. 11) 277; Frank, J.: On logos and politics in Aristotle. In Lockwood, Th. ‒ Samaras, Th. (Hg.): Aristotle’s Politics. A Critical Guide. Cambridge 2015, 9–26, hier 23.

67

Rese (Anm. 11) 272.

68

Arendt, H.:Was ist Politik? München‒Zürich 1993, 9–12.

69

Arendt, H.: Gedanken zu Lessing. Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. In Arendt, H.:Menschen in finsteren Zeiten. München‒Zürich 1989, 11–44, hier 35: „Denn menschlich ist die Welt nicht schon darum, weil sie von Menschen hergestellt ist, und sie wird auch nicht schon dadurch menschlich, daß in ihr die menschliche Stimme ertönt, sondern erst, wenn sie Gegenstand des Gesprächs geworden ist.“

70

Gadamer (Anm. 48) 326.

71

Pangle (Anm. 10) 38.

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